Das Aris Quartett hat sich mit seinen lebendigen Interpretationen längst international einen Namen gemacht – nun eröffnen sie in der Elbphilharmonie das digitale Festival Rising Stars. Das Haus kennen die vier Künstler schon: Im Sommer 2020 haben sie hier im Rahmen eines dreitägigen Hamburg-Besuches alle Winkel erkundet. Jetzt sind sie zurück und stellen im Stream-Konzert unter Beweis, dass sie nicht nur die bekannten Streichquartette der Klassik und Romantik mit Leidenschaft zum Leben erwecken können, sondern auch Musik des 20. und 21. Jahrhunderts.
Festival Rising Stars 2021
Die Stars von morgen in fünf Konzert-Streams erleben.
Das Aris Quartett stellt sich vor
Die Künstler
- 2009: Gründung an der Frankfurter Musikhochschule
- 2016: Zweiter Preis beim Internationaler Musikwettbewerb der ARD, sowie Publikumspreis, Osnabrücker Musikpreis, Sonderpreis ProQuartet und Sonderpreis Genuin Classics
- 2018: »New Generation Artists« der BBC
- 2020: Veröffentlichung ihres vierten Albums (Schostakowitsch / Schubert)
- 2020/21: »Rising Stars« der European Concert Hall Organisation
- August 2020: Dreitägiger Besuch in der Elbphilharmonie Hamburg
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Vollständige Biografie
Als der Frankfurter Kammermusik-Professor Hubert Buchberger im Jahr 2009 vier Jungstudenten im Alter zwischen 15 und 18 Jahren als Streichquartett zusammenbringt, ahnt er nicht, dass er den Grundstein für eine eindrucksvolle Erfolgsgeschichte legt. Doch Anna Katharina Wildermuth, Noémi Zipperling, Caspar Vinzens und Lukas Sieber (der Quartettname leitet sich aus den letzten Buchstaben ihrer Vornamen ab) übertreffen alle Erwartungen.
Nach Studien in Madrid bei Günter Pichler, dem langjährigen Ersten Geiger des legendären Alban Berg Quartetts, gelingt den vier jungen Musikern mit zahlreichen Ersten Preisen bei renommierten Musikwettbewerben schnell der internationale Durchbruch. Großes Aufsehen erregt das Quartett, als es 2016 den hoch dotierten Musikpreis der Jürgen Ponto-Stiftung sowie gleich fünf Preise beim Internationalen Musikwettbewerb der ARD in München gewinnt. Mit der Ernennung zu New Generation Artists der BBC 2018 und dem Borletti-Buitoni Trust Award 2020 erhält das Aris Quartett zudem einige der international bedeutendsten Auszeichnungen für junge Musiker.
Heute zählt das Aris Quartett zu den interessantesten Kammermusikformationen seiner Generation. Schon fünf CD-Produktionen hat es herausgebracht; zuletzt erschien im Herbst 2020 in Kooperation mit Deutschlandfunk und BBC Radio 3 eine Einspielung mit Werken von Johannes Brahms, der die luxemburgische Zeitschrift pizzicato »eine wunderbar durchleuchtete Sicht auf die Werke« attestiert. Das Ensemble ist in bedeutenden Konzerthäusern wie der Wigmore Hall London, der Philharmonie de Paris und dem Wiener Konzerthaus zu hören – und nun auch in der Elbphilharmonie.
Das Aris Quartett wird von der Anna-Ruths-Stiftung, der Wilfried und Martha Ensinger Stiftung sowie der Irene Steels-Wilsing Stiftung gefördert.
Anna Katharina Wildermuth Violine
Noémi Zipperling Violine
Caspar Vinzens Viola
Lukas Sieber Violoncello
Nominiert von Elbphilharmonie Hamburg und Konzerthaus Dortmund
Programm
György Kurtág (*1926)
Streichquartett op. 28 »Officium breve in memoriam Andreae Szervánszky«
Dmitri Schostakowitsch (1906–1975)
Streichquartett Nr. 8 c-Moll op. 110
Misato Mochizuki (*1969)
in-side für Streichquartett / Kompositionsauftrag von Elbphilharmonie Hamburg, Konzerthaus Dortmund und European Concert Hall Organisation (ECHO)
Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847)
Streichquartett D-Dur op. 44/1
Das Aris Quartett spielt Mendelssohns Streichquartett D-Dur op. 44/1
Backstage-Eindrücke
Musik hören mit dem Aris Quartett :Aus der Reihe »Konzert für Einsteiger«
Wie kann man sich als Zuhörer auf einen Konzertbesuch vorbereiten? Das Aris Quartett gibt praktische Tipps und erzählt, ob man Zuhören eigentlich üben kann (oder soll).
Zur Musik
György Kurtág :Streichquartett op. 28 »Officium breve in memoriam Andreae Szervánszky«
György Kurtágs Officium breve entstand 1988/89 als Hommage an seinen 1977 verstorbenen Landsmann, den Komponisten Endre Szervánszky. Dieser war der erste ungarische Komponist, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Ungarn Zwölftonmusik schrieb – Musik also, die kein Dur und Moll mehr kennt, sondern in der alle zwölf Halbtöne der Oktave gleichwertig und aufeinander bezogen verwendet werden. Auf politischer Ebene hatte Szervánszky ebenfalls den Mut, Profil zu zeigen: In der Nazizeit rettete er jüdische Mitbürger vor der Deportation, und auch unter der Herrschaft der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg ließ er sich kritische Äußerungen trotz Repressalien nicht verbieten.

Kurtág komponierte sein Streichquartett als eine Art instrumentales Mini-Requiem für Szervánszky. In der für ihn typischen äußerst kondensierten und hochexpressiven Form verarbeitet er in dem gut zehnminütigen Werk Zitate von Szervánszky und Anton Webern, der für beide Komponisten ein großes Vorbild war. Insbesondere Weberns II. Kantate aus dem Jahr 1943 steht gleich bei mehreren Sätzen Pate. Neben musikalischen Zitaten aus der Kantate bezieht sich Kurtág auch ausdrücklich auf den assoziationsreichen Text von Hildegard Jone, den er an einer Stelle eigens in die Stimmen seines Quartetts mit hineinschrieb.
Wo klingt György Kurtágs Streichquartett op. 28 eigentlich am besten?
Bei seinem dreitägigen Besuch in der Elbphilharmonie hat sich das Aris Quartett im Sommer 2020 auf die Suche nach der besten Akustik für Kurtágs Streichquartett gemacht. Von der Tiefgarage bis zum Dach probierten sich die vier Musiker durchs Haus – mit überraschendem Ausgang.
In der Spielzeit 2020/21 widmet die Elbphilharmonie dem ungarischen Komponisten einen Schwerpunkt.
Dmitri Schostakowitsch :Streichquartett Nr. 8 c-Moll op. 110
»Im Gedenken an die Opfer des Faschismus und des Krieges« sei Dmitri Schostakowitschs Streichquartett op. 110 komponiert, so die offizielle Überschrift des Erstdrucks. Und sicher lässt sich das 1960 entstandene fünfsätzige Werk, das schonungslos alle Extreme zwischen elegischem Singen, atemloser Flucht, hohntriefendem Sarkasmus und roher Klanggewalt durchschreitet, in diesem Sinne lesen.
Briefe und Tagebucheinträge Schostakowitschs jedoch legen eine andere Deutung nahe: Eigentlich sollte er in diesem Sommer die Musik für den deutsch-sowjetischen Propagandafilm »Fünf Tage – fünf Nächte« schreiben. Gleichzeitig stieg der Druck auf ihn, endlich Mitglied der KPdSU zu werden – ein Akt politischer Unterwerfung, dem er sich bislang erfolgreich entzogen hatte. Statt nun also mit orchestralem Pomp die Überlegenheit des Kommunismus zu feiern, schob Schostakowitsch die Auftragsarbeit zunächst auf die lange Bank. Stattdessen wandte er sich einer denkbar unpompösen Gattung zu: dem Streichquartett. Geradezu obsessiv kreist es um die Tonfolge D-Es-C-H (in Buchstaben: D-S-C-H, Schostakowitschs Initialen) und zitiert zugleich eine Reihe seiner eigenen Werke – vor allem jener, die ihn in Konflikt mit dem Sowjetregime brachten wie seine achte Sinfonie oder die Oper »Lady Macbeth von Mzensk«.
Gut möglich also, dass der von Jahrzehnten der Furcht und latenten Bedrohung in der Sowjetunion zermürbte Schostakowitsch hier weniger die Trauer über die Opfer des Faschismus als vielmehr die innere Not all der Menschen in Töne goss, deren Anstand, Moral und persönliches Ethos durch ein Leben in ständiger Angst einen langsamen und qualvollen Tod sterben. Ein gutes Jahr nach der Komposition wurde Schostakowitsch Mitglied der KPdSU.
Misato Mochizuki :in-side für Streichquartett
Während Schostakowitschs und auch Kurtágs Streichquartette zu dem Versuch einladen, durch die Musik einen Blick hinter die Kulissen der schöpferischen Prozesse zu werfen, reflektiert Misato Mochizukis »in-side« die Vorgänge im menschlichen Gehirn beim Hören von Musik. Inspiriert durch neurologische Studien, die darauf hindeuten, dass Melodie und Rhythmus unterschiedliche Hirnareale ansprechen, legte die in Tokio geborene Komponistin das gut 5-minütige Quartett als Spiel mit eben diesen beiden musikalischen Elementen an: Aus dem perkussiven Beginn, in dem der Cellist einen hypnotisierenden Rhythmus auf seinem Instrument klopft, schälen sich beinahe unmerklich ein Ton und schließlich eine Melodie heraus. Diese Elemente verbinden sich nach und nach zu einem klanglichen Mikrokosmos von filigraner Schönheit, mit dem Mochizuki wiederum auf japanische Mythen von der Entstehung der Welt anspielt.

Felix Mendelssohn Bartholdy :Streichquartett D-Dur op. 44/1
Das im Frühjahr und Sommer 1838 entstandene Streichquartett von Felix Mendelssohn Bartholdy scheint mit seinem heiteren und schwungvollen Grundton die Stimmung des damals frisch verheirateten Komponisten widerzuspiegeln, dessen erstes Kind Carl gerade auf die Welt gekommen war. Und nicht nur privat, auch beruflich befand er sich zu dieser Zeit auf dem Zenit seines Glücks: Als Leiter der Gewandhauskonzerte prägte und revolutionierte er seit 1835 das Musikleben in Leipzig, zudem war er als Komponist, Interpret und Dirigent im In- und Ausland höchst erfolgreich.

Beim Komponieren des virtuosen Parts für die erste Violine des Quartetts hatte Mendelssohn Bartholdy seinen Freund Ferdinand David im Sinn, den Konzertmeister des Gewandhausorchesters. »Ich habe mein drittes Quartett in D-Dur fertig, und habe es sehr lieb; wenn es Dir nur auch so gut gefällt. Doch glaube ich das fast, denn es ist feuriger und auch für die Spieler dankbarer, als die andern, wie mir scheint«, schrieb Mendelssohn im Sommer 1838 an den Freund. Und er sollte recht behalten: Die Uraufführung des Quartetts durch Ferdinand David und drei weitere Gewandhaus-Musiker erfolgte am 16. Februar 1839 unter dem »lautesten Beifall« (Allgemeine musikalische Zeitung).
Text: Juliane Weigel-Krämer, Stand: 25.1.2021
Das Konzert wurde am 18. Januar 2021 aufgezeichnet.
Veranstalter: HamburgMusik
In Kooperation mit ECHO - European Concert Hall Organisation
Mit Unterstützung der M.M.Warburg & CO
Gefördert durch Classical Futures Europe und das Programm Kreatives Europa der Europäischen Union.