Mozart-Denkmal in Wien

Mozarts Moment

Wenn der richtige Mensch zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, kann Außergewöhnliches entstehen – Hintergründe zum Projekt »Mozart Momentum 1785/1786«.

Wien, 1785: In der Stadt pulsiert das Leben. Seit fünf Jahren herrscht Kaiser Joseph II. allein über das Habsburgerreich, dessen Hauptstadt sich zu einer prosperierenden Metropole entwickelt. Die Bevölkerung wächst explosionsartig, der prunkliebende Adel kurbelt durch repräsentative Prachtentfaltung die Wirtschaft an. Künstler, Intellektuelle, Bürger und niederer Adel treffen sich in Salons, debattieren über Kunst und Wissenschaft, Philosophie und Politik. Es­ ist das Zeitalter der Aufklärung, und es gibt kaum einen Ort, an dem die Aufbruchsstimmung dieser Zeit stärker zu spüren ist als hier.

Mittendrin: Wolfgang Amadeus Mozart. Als er vier Jahre zuvor nach Wien gekommen war, stellte er rasch fest, dass die blühende Stadt »ein herrlicher ­Ort und für mein Metier der beste Ort von der Welt« sei, wie er an seinen Vater Leopold schrieb. Nach ­frustrierenden Jahren in Diensten des Salzburger Fürsterzbischofs war Mozart mehr als bereit, in der kaiserlichen Hauptstadt seine Flügel auszubreiten – und der Zeitpunkt dafür hätte besser nicht sein können.

Der Geist der Aufklärung weht durch Wien

Wie aber kam es, dass Mozart solche idealen Bedingungen vorfinden konnte? Die Wurzeln dieser Entwicklung gehen bis ins 17. Jahrhundert zurück. Schon damals hatte sich in Europa ein Umdenken in Bezug auf den Menschen und seine Rolle in der Welt angebahnt. Mit dem Beginn des 18. Jahrhunderts nahm diese Bewegung an Fahrt auf. Vordenker wie Immanuel Kant und Voltaire sprachen von der Gleichheit aller vor dem Gesetz, von religiöser Toleranz – und immer wieder von Vernunft. »Sapere aude!«, forderte Kant mit Horaz. In der Forschung ging es nun darum, Vermutungen mit wiederholbaren Experimenten zu beweisen: Die moderne Wissenschaft war geboren.

 

»Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.«

Immanuel Kant

 

Parallel zu diesen Entwicklungen verlor die Kirche an Macht. In einer Welt, in der das kritische Hinterfragen althergebrachter Glaubensgrundsätze zum Credo erhoben wurde, gerieten die religiösen Dogmen in eine Legitimationskrise. »Zweifle an allem wenigstens einmal, und wäre es auch der Satz zwei mal zwei ist vier«, brachte der Mathematiker Georg Christoph Lichtenberg die neue Denkweise auf den Punkt. Auch die absoluten Monarchen konnten sich nun nicht mehr auf Gottes Gnade als Legitimation für ihre Herrschaft stützen. Der aufgeklärte Fürst verstand sich vielmehr, mit den Worten Friedrichs des Großen, als »erster Diener des Staates« und war somit für Glück und Zufriedenheit seiner Untertanen zuständig. Diese wiederum sprengten das Korsett eines Daseins in Demut, Gehorsam und Gottgefälligkeit: Das Recht des Einzelnen auf Leben, Freiheit und Glück wurde zum Gebot der Stunde. Von diesen Umbrüchen profitierte in erster Linie das Bürgertum, das mit wachsender Arbeits- und Finanzkraft an gesellschaftlichem Einfluss gewann.

Wien (Gemälde von Carl Schütz, 1781)
Wien (Gemälde von Carl Schütz, 1781) © Wikimedia Commons

AUFKLÄRUNG VON OBEN :DER JOSEPHINISMUS

Auch für die Fürsten war die Philosophie der Aufklärung aus handfesten machtpolitischen Gründen durchaus attraktiv. Immerhin bedeutete ein stärkeres und finanzkräftigeres Bürgertum fast automatisch, dass der Adel an Einfluss verlor zugunsten des absoluten Herrschers. Und so machte sich mehr als ein europäischer Monarch die neuen Ideen zu eigen. Namentlich sind heute Friedrich der Große und Katharina die Große als aufgeklärte Fürsten bekannt – und nicht zuletzt der »Reformkaiser« Joseph II.

Der 1741 geborene Sohn der Erzherzogin Maria Theresia war bereits 1764 in Frankfurt am Main zum römisch-deutschen Kaiser gekrönt worden – freilich eine zu diesem Zeitpunkt längst nur noch titularische Würde. Machtpolitisch relevant war vielmehr, dass er im Jahr darauf auch Mitregent seiner Mutter und nach deren Tod 1780 alleiniger Herrscher in den habsburgischen Ländern wurde; im Erzherzogtum Österreich, den Ländern der böhmischen Krone, dem Königreich Ungarn und den Österreichischen Niederlanden konnte er nun unmittelbar durchregieren.

Jospeh II. (Bild von Anton von Maron, 1775)
Jospeh II. (Bild von Anton von Maron, 1775) © Wikimedia Commons

Ganz Kind der Aufklärung, hatte Joseph noch zu Lebzeiten Maria Theresias auf Reformen gedrängt, doch erst nach ihrem Tod konnte er seinen vollen aufklärerischen Furor entfesseln. Und ein Furor war es, den der Kaiser auf sein Reich niedergehen ließ, das muss man ehrlicherweise sagen. Innerhalb weniger Jahre schaffte Joseph Folter und Leibeigenschaft ab und führte eine für Adlige wie Nichtadlige gleichermaßen zuständige Gerichtsbarkeit ein. Pressefreiheit und freie Religionsausübung für Nicht-Katholiken wurden (bis zu einem gewissen Grad) gewährt. Zudem löste Joseph alle kontemplativen Mönchs- und Nonnenorden auf und verstaatlichte deren Besitz. Überhaupt ordnete er das gesamte Staats-, Bildungs- und Gesundheitswesen neu.

Sein erklärtes Ziel war ein straff organisierter, zentralistischer Staat mit Deutsch als Amtssprache im habsburgischen Vielvölkerstaat ein durchaus brisantes Unterfangen, mit einer schlanken und effizienten Verwaltung und ihm selbst an der Spitze. Die Reformen des als sparsam geltenden Kaisers, der für pompöses Zeremoniell wenig übrighatte und sich selbst am liebsten in schlichter Uniform zeigte, stießen zunächst durchaus auf Zuspruch.

Als Joseph jedoch immer tiefer in das Leben des Einzelnen eingriff, machte sich allmählich Unmut breit. Der Adel fühlte sich zurückgesetzt. Die nicht-deutschsprachigen Gegenden des Reiches rebellierten gegen die Beschneidung ihrer politischen und sprachlichen Eigenständigkeit. Der Papst bangte um seinen Einfluss. Und als der Reformeifer des Kaisers schließlich in ein an Kontrollwahn grenzendes Mikro-Management ausartete, hatte er sich endgültig die Sympathien seiner Untertanen verspielt: Der Einsatz von wiederverwendbaren »Sparsärgen« bei Beerdigungen und Vorschriften zur Anzahl der Kerzen, die im Gottesdienst angezündet werden durften, überforderten auch die Toleranz von Josephs glühendsten Anhängern. Und so war vielen seiner Reformen keine dauerhafte Existenz beschieden. Verbittert musste der Kaiser am Ende seines Lebens etliche davon zurücknehmen, andere wurden von seinem Nachfolger Leopold II. ab 1790 kassiert. Dennoch hatte Joseph – wenn auch auf etwas brachiale Art und Weise – eine gesellschaftliche Dynamik angeschoben, die sein Land nachhaltig prägen sollte.

»DER BESTE ORT VON DER WELT« :Mozart in Wien

Für Mozart war diese Dynamik ausschlaggebend, als er 1781 beschloss, nach Wien zu übersiedeln. Die kaiserliche Residenzstadt profitierte am unmittelbarsten vom Wirken Josephs II., der wirtschaftliche und kulturelle Aufschwung war hier überall zu spüren. So resultierte die 1782 eingeführte Pressefreiheit in einer Flut neuer Publikationen: Von Zeitungen über philosophische Traktate und Satiren bis hin zu Belletristik jeglicher Couleur gab es plötzlich Lesestoff zu erschwinglichen Preisen. Für diejenigen, die sich selbst das nicht leisten konnten, entstanden die ­sogenannten »Lesekabinette«, Vorläufer der heutigen Leihbibliotheken. Eine Diskussionskultur, die ihresgleichen sucht, entstand in der multikulturellen und lesefreudigen Metropole. Nie zuvor war der Geist der habsburgischen Gesellschaft so offen wie in Wien auf dem Höhepunkt der josephinischen Reformen.

Auch das öffentliche Konzertwesen blühte auf. Musikalische Unterhaltung war lange den Kirchen und den Adelspalästen vorbehalten gewesen, nun gab es Konzerthäuser, die jedermann offenstanden. Zudem kam das häusliche Musizieren in Mode. All dies eröffnete Mozart ein vielfältiges Betätigungsfeld als freischaffender Musiker: Er unterrichtete adlige Damen im Klavierspiel, komponierte Kammermusik für den Hausgebrauch und trat als Pianist öffentlich auf – vielfach mit eigenen Werken. Dabei profitierte er gerade als Komponist von der Aufbruchsstimmung in der Donaumetropole. Nachdem er mit »Idomeneo« 1781 bereits die Konventionen der italienischen Oper mutig in Frage gestellt hatte, folgte 1782 »Die Entführung aus dem Serail«, die Mozart in Wien schlagartig berühmt machte.

Theaterzettel zur Uraufführung von »Die Entführung aus dem Serail« 1782
Theaterzettel zur Uraufführung von »Die Entführung aus dem Serail« 1782 © Wikimedia Commons

Mit der Uraufführung von »Le nozze di Figaro« gelang dem jungen Salzburger im Jahr 1786 ein weiterer Coup. Die politisch durchaus brisante Oper über ein kluges Dienerpaar, das seinen schürzen jagenden adligen Herrn an der Nase herumführt und schließlich gründlich blamiert, entwickelte sich zu einem derartigen Hit, dass der Kaiser sich genötigt sah, die Anzahl der Zugaben per Dekret zu begrenzen, damit die Aufführung auch irgendwann einmal zu Ende war.

GLEICHBERECHTIGT UND AUF AUGENHÖHE :Mozarts Klavierkonzerte

Setzte Mozart schon im Bereich der Oper neue Maßstäbe, so galt das erst recht für das Klavierkonzert. Namentlich in den Jahren 1785 und 1786, auf dem Höhepunkt der kulturellen Glanzzeit des josephinischen Wiens, schrieb Mozart seine heute als »sinfonische« Klavierkonzerte bekannten bahnbrechenden Beiträge zu dieser Gattung. Dazu zählen das d-Moll-Konzert KV 466, das C-Dur-Konzert KV 467 sowie die Konzerte in A-Dur und c-Moll KV 488 und KV 491. Allen vier gemeinsam ist, dass sie das Verhältnis zwischen Orchester und Solist neu definieren: Bisher hatte ein Klavierkonzert ausschließlich dazu gedient, die Virtuosität des Solisten ins Rampenlicht zu rücken, während dem Orchester eine rein begleitende Funktion zukam.

In Mozarts Konzerten hingegen agieren Solist und Orchester gleichberechtigt und auf Augenhöhe. Auch der Aufbau der Kompositionen ist neuartig: Waren die einzelnen Sätze von Solokonzerten bis dahin musikalisch meist relativ unabhängig voneinander, so spannte Mozart motivisch-thematische Bögen, die sich über das ganze Werk erstrecken. Mit diesen Neuerungen wies er schon voraus auf die Klavierkonzerte der kommenden Epoche, insbesondere die von Beethoven und Brahms. Und nicht zuletzt öffnete Mozart auch in der Kammermusik neue Türen.

Wie in den Klavierkonzerten, so agieren auch in seinem 1786 entstandenen Klavierquartett Es-Dur KV 493 alle vier Instrumente auf Augenhöhe: Das vordemokratische Ideal der Gleichberechtigung ist in Mozarts Musik der Wiener Jahre deutlich zu spüren. So lässt sich denn auch der Künstler Mozart nicht unabhängig von seiner Zeit denken. Ohne den Reformeifer Josephs II., ohne die Pressefreiheit und den Bedeutungsverlust von Kirche und Frömmigkeit hätte Mozart wohl nicht das Selbstbewusstsein entwickeln können, eine sichere Anstellung zu verlassen und als Künstler eigene Wege zu gehen. Und dann sähe die Musikgeschichte heute gewiss ganz anders aus.

Text: Juliane Weigel-Krämer

»Mozart Momentum 1785/1786« :Konzerte in der Elbphilharmonie

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