Patrizia Bovi

Interview mit Patrizia Bovi

»Mittelalter-Musik wie eine Rockband spielen« – die italienische Musikerin Patrizia Bovi über ihre Beschäftigung mit jahrhundertealter Musik.

Mittelalter-Musik kann uns bis heute ganz unmittelbar ansprechen – das zeigt die italienische Musikerin Patrizia Bovi seit vielen Jahren. Gemeinsam mit ihrem 1984 gegründeten Spezial-Ensemble Micrologus schafft sie es, Menschen für jahrhundertealte Musik zu begeistern. Nicht nur als preisgekrönte Instrumentalistin und Sängerin, sondern auch in der Forschung leistet sie einen großen Beitrag für die Erschließung und Bekanntmachung des mittelalterlichen Repertoires. Im November 2024 kommen Patrizia Bovi und ihr Ensemble in die Elbphilharmonie – ein besonderes Highlight des vielseitigen »Viva Napoli«-Festivals. Mit ihrem Programm »Napoli aragonese« begeben sich die Musiker:innen in die Blütezeit höfischer Musik im Neapel des 15. Jahrhunderts, wo sich das gesamte Panorama französischer, italienischer und spanischer Stile mischte.

Im Interview spricht Patrizia Bovi über das Programm, über die gute Gruppendynamik im Ensemble und über ihre Liebe zur mittelalterlichen Musik, die bis in ihre Kindheit im umbrischen Assisi zurückreicht.

»Wir wollen uns ernsthaft mit der Alten Musik und ihrer Erforschung auseinandersetzen – aber mit der Energie und dem Geist einer Rockband.«

Patrizia Bovi

© Patrizia Bovi

Interview

Woher kommt Ihre Leidenschaft für die Musik des Mittelalters?

Das begann schon, als ich noch ein Kind war: Mit acht oder neun Jahren war ein Lied eines Troubadours aus dem Mittelalter eines der ersten, das ich außerhalb der Schule gelernt habe. Normalerweise singt man in diesem Alter wahrscheinlich Kinderlieder. Aber in Assisi, wo ich herkomme, gibt es ein Mittelalter-Fest, bei dem die Musik eine wichtige Rolle spielt. Deshalb gibt es eine besondere Verbindung in der Stadt zur Mittelalter- und frühen Renaissance-Musik.

Später kam die Faszination für die Forschung dazu. 1984 gründete ich mit zwei Freunden das Ensemble Micrologus. Wir wollten uns ernsthaft mit der Alten Musik und ihrer Erforschung auseinandersetzen – aber mit der Energie und dem Geist einer Rockband. Es hatte diese typische Begeisterung junger Menschen, die sich aber bis heute – 40 Jahre später! – gehalten hat.


Was ist das Schöne daran, so lange an einem Projekt zu arbeiten? Was sind die Herausforderungen?

Wir hatten am Anfang gar nicht geplant, dass das Ensemble so lange besteht. Ich glaube, wir haben großes Glück mit unserer Gruppendynamik. Wir finden uns ja je nach Projekt in unterschiedlichen Ensemblegrößen zusammen, mit einem sehr festen Stamm an Musiker:innen. Das ist großartig, weil wir flexibel sind und in verschiedenen Besetzungen auftreten können, aber dabei gleichzeitig auch Kontinuität haben. Ob zu viert oder zu zwölft – wir haben für jedes Projekt die richtige Größe, Spieltechnik, Instrumente etc. Das ist wichtig für uns, denn jede Musik hat eigene künstlerische Anforderungen.


Was bedeutet das?
Wir fragen uns immer: Was war damals der Kontext der Musik, was war ihre Funktion? So können wir uns als Interpret:innen der Gegenwart an den Originalklang der Musik herantasten. Wir sind heute natürlich schon ganz anders geprägt. Es ist nicht einfach, sich zu lösen und eine gute Mittelalter-Künstlerin zu werden. Wenn man nach der einstigen Funktion der Musik fragt und ihren Weg mit einer durchdachten Konzert-Dramaturgie nachvollzieht, können sich auch Menschen ganz unmittelbar dafür begeistern, die sonst gar keine Berührungen mit dem Mittelalter haben.

Ensemble Micrologus: Napoli aragonese

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Ensemble Micrologus
Ensemble Micrologus Ensemble Micrologus

In welcher Ensemblegröße und mit welchen Instrumenten sind Sie im November 2024 in der Elbphilharmonie?

Die Anfrage war ja ziemlich spezifisch: Es sollte ein neapolitanisches Programm aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts sein. Damals stand Neapel unter der Herrschaft des aragonesischen Hofs und es war eine sehr fruchtbare Phase für die Stadt und besonders für die Musik. Die Musik Neapels aus dem 17. Jahrhundert mit vielen Meisterwerken ist recht bekannt, aber für mich ist das noch ältere Repertoire aus Neapel viel spannender und interessanter.


Inwiefern?
Es gab seit dem 14. Jahrhundert so viele unterschiedliche kulturelle Einflüsse durch die verschiedenen Herrscher. Zunächst das französische Haus Anjou und dann der aragonesische Hof aus Spanien. Im Zuge dessen kamen viele Franzosen und Spanier nach Neapel. Ihre Musik mischte sich mit der italienischen, neapolitanischen – mit der ganzen Stimmung der Stadt. Dadurch entstand etwas absolut Einzigartiges! Und diese Musik präsentieren wir im November: Scrambotti, Ballati mit Laute, Harfe, Dulcimer, Fiedel, Percussion, Gesang ...

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