Sun Ra

Black to the Future: Afrofuturism

Mehr als Science Fiction: Über die ästhetische Tradition und die Denkschule des Afrofuturism.

Ende Juli 2022 verstarb die afroamerikanische Schauspielerin und Sängerin
Nichelle Nichols, bekannt als Lieutenant Uhura aus der Science-­Fiction-­Serie »Raumschiff Enterprise«. Sie war nicht nur eine der ersten schwarzen Frauen in einer Mainstream-Fernsehserie, sondern auch ein Kommentar auf das Unrecht, das der schwarzen Bevölkerung auf der Erde zur Zeit der Dreh­arbeiten in den 1960er-Jahren – der Hochzeit der US-Bürgerrechtsbewegung – widerfuhr.
Herrschten hier rassistische Unterdrückungsregime, bot der fiktionale Blick in die Zukunft einen Fluchtpunkt, die Reise durchs All eine utopische Alternative.

 

»Um für eine bessere Zukunft zu kämpfen, müssen wir daran glauben, dass es überhaupt eine Zukunft gibt.«

Angela Davis, Bürgerrechtlerin

 

Überhaupt die Vorstellungskraft zu entwickeln, sich eine bessere Zukunft auszumalen, ist schon ein revolutionärer Akt. Und die bloße Existenz von Lieutenant Uhura damit nichts Geringeres als eine Rebellion, ein Aufstand gegen den Status quo der Ausbeutung, der weder Schwarze noch Frauen – und schon gar keine schwarzen Frauen – als Anführerinnen, ­Heldinnen, Ikonen sah. Obwohl es ja schwarzen Frauen wie Dorothy Vaughan und Katherine Johnson und ihrer Arbeit als NASA-Mathematikerinnen zu verdanken war, dass weiße Männer es überhaupt ins All und wieder zurück schafften.

Nichelle Nichols als Lieutenant Uhura
Nichelle Nichols als Lieutenant Uhura © NASA / Wikimedia

Fokus Afrofuturism

In der Saison 2022/23 widmet die Elbphilharmonie dem Afrofuturism einen besondern Schwerpunkt – mit legendären Vertreter:innen wie dem Sun Ra Arkestra und neuen Sounds der jungen Generation von Sons of Kemet oder Theo Croker.

Für eine bessere Zukunft

Der amerikanische Kulturwissenschaftler Mark Dery war in seinem Essay »Black to the Future« von 1993 einer der ersten, die den Begriff des Afrofuturismus nutzten, um diese neue afroamerikanische Kunst zu beschreiben, die sich mit der technologisierten Kultur des 20. Jahrhunderts im Kontext afroamerikanischer Themen befasste. »Kann eine Gemeinschaft, deren Vergangenheit absichtlich ausgelöscht wurde und die daraufhin ihre Energie darauf verwendet hat, lesbare Spuren ihrer Vergangenheit zu suchen, mögliche Zukünfte imaginieren?«, fragt er in seinem wegweisenden Text angesichts der Ausbeutung, Entwürdigung und systematischen Zerstörung des kulturellen Erbes der Afrikaner:innen. Der Afrofuturism beantwortet diese rhetorische Frage mit einem kräftigen »Ja!«

Er verbindet die schmerzlichen Frage nach der Herkunft, den Blick auf die Probleme der Gegenwart und die Vision einer Zukunft, in der diese Wunden durch technologischen Fortschritt und spirituellen Rückgriff auf die Vergangenheit geheilt werden. Afrofuturism sei damit »die Schnittstelle zwischen Schwarzer Kultur, Technologie, Befreiung und Vorstellungskraft, kombiniert mit einer Portion Mystik«, fasst es die Autorin Ytasha Womack zusammen.

»Afrofuturism schlägt eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft und denkt die Erfahrungswelt von Schwarzen Menschen neu.«

Ytasha Womack

Sun Ra: »Space is the Place«

In der Musik spiegelte sich dieser Ansatz etwa beim Kollektiv Parliament-Funkadelic (P-Funk) um George ­Clinton, das ab Mitte der 1960er Funk-Beats à la James Brown und den Psychedelic Rock eines Jimi Hendrix zusammenbrachte, ergänzt um einen mythologischen Überbau. Den pflegte auch der Jazzer Sun Ra (1914–1993) mit seinem von der Space-Age-Ästhetik geprägten Narrativ, er sei vom Planeten Saturn auf die Erde gekommen, um durch seine Musik Frieden zu predigen und die schwarze Bevölkerung in eine bessere Zukunft zu führen.

Sein Werkzeug: eine Soundästhetik, die so ent­fesselt vom Korsett der Vergangenheit ist, wie es nur ein Reisender aus dem Weltall von den rassistischen Realitäten der Erde sein konnte. Wenn auf Erden seit Jahrhunderten Ausbeutung und Unterdrückung herrschen, dann ist eben »Space the Place« – so sein Motto und der Titel seines berühmten Experimentalfilms von 1974. 

Trailer: »Space is the Place«

Afrofuturism heute

Afrofuturistische Grundideen prägen afrodiasporische Kunst und Kultur bis heute: Beispiele reichen von Miles Davis’ Ausflügen ins Galaktische mit »Bitches Brew«, über die Hinwendung zum Kosmischen in den Arbeiten von John und Alice Coltrane bis hin zu Kamasi Washingtons Album »The Epic« (2015) und dem neuen Jazz aus Großbritannien, etwa von Shabaka Hutchings. In seinen musikalischen Projekten wie Sons of Kemet oder The Comet is Coming beleuchtet der junge Saxophonist den Afrofuturism aus unterschiedlichen Perspektiven – und das mit großem internationalem Erfolg.

Sons of Kemet – Black to the Future (Hustle)

Afrofuturism in Filmen

Afrofuturistische Ästhetiken und Inhalte sind heute längst aus dem Untergrund herausgetreten und erobern immer weiter den Mainstream: frühe Beispiele sind etwa Musikvideos von Michael Jackson oder Missy Elliott aus den Neunzigern und frühen Zweitausendern, die den Weg bereiteten für Musikfilme wie Janelle Monaés »Dirty Computer« (2018) oder Beyoncés »Black is King« (2020) schafften – und natürlich auch für die aktuelle Comicverfilmung »Black Panther« (2018)«, die Afrofuturism endgültig auch der breiten Masse zugänglich machte.

Erst im vergangenen Jahr gab die Historikerin Keisha Blain die Anthologie »Four Hundred Souls« über 400 Jahre Schwarzen Lebens in den USA seit Ankunft der ersten verschleppten Afrikanerinnen und Afrikaner in den Kolonien 1619 heraus. Im Nachwort schreibt sie über die in der Schwarzen Community der USA verbreitete Wendung »I am my ancestors’ wildest dreams«: »Obwohl ich weiterhin daran zweifle, dass wir schon die wildesten Träume unserer ­Ahnen sind, glaube ich daran, dass wir es eines Tages sein werden. Wir können dabei helfen einen Weg zu finden, der uns alle in eine bessere Zukunft führt – die Art von Zukunft, die den wildesten Träumen unserer Ahnen weit mehr ähneln wird.«


Text: Aida Baghernejad, Stand: 05.08.2022

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