Happy Birthday! :Die Elbphilharmonie feiert ihren 5. Geburtstag
Mit Superlativen sollte man bekanntlich sparsam umgehen. Aber dass in Hamburg mit der Eröffnung der Elbphilharmonie vor genau fünf Jahren eine neue Ära angebrochen ist, dürfte wohl niemand in Abrede stellen. An jenem Abend des 11. Januar 2017 verdichteten sich Stolz, Freude und Glück von Musikern und Publikum, das neue Haus endlich in Besitz nehmen und seiner Bestimmung zuführen zu können, zu einem Konzertmoment von schier unglaublicher, überschäumender Energie. Er wirkte wie die erste Brennstufe einer Rakete, die die Elbphilharmonie donnernd abheben ließ und in eine hochfliegende Umlaufbahn katapultierte, in die allererste Reihe internationaler Kulturstätten.
Festkonzert: 5 Jahre Elbphilharmonie
Das Festkonzert mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester unter seinem Chefdirigenten Alan Gilbert wird am 11. Januar ab 20 Uhr live übertragen und ist nun als Stream verfügbar.
11. Januar 2017: Eröffnungskonzert
Strahlende Visionen
Kühn war sie ja, die Vision, die der Hamburger Projektmanager Alexander Gérard, seine Frau, die Kunsthistorikerin Jana Marko, und seine ehemaligen Studienkollegen Jacques Herzog und Pierre de Meuron, bekannt als Architekten etwa der Londoner Tate Modern, gemeinsam entwickelt hatten. Schon lange hatte man gerätselt, was mit dem markanten Lagerhaus an der Spitze der neuen HafenCity geschehen solle. Auf Pfählen in die Elbe gebaut, beherbergte es einst säckeweise Kakao und Kaffee und war durch das Aufkommen des Containerhandels arbeitslos geworden. Die Idee, den kantigen Backsteinbau aus dem Jahr 1963 als Sockel für ein Konzerthaus zu nutzen, dessen gläserne Hülle sich wie eine glitzernde Welle 110 Meter über dem Hafen aufschwingt, elektrisierte die Stadt und die weltweite Kulturszene seit der Vorstellung des Projekts 2003.
Als diese Vision mit der Eröffnung 2017 Wirklichkeit wurde und die Schatten der quälend langen Bauphase abschüttelte, kannte die allgemeine Begeisterung keine Grenzen mehr. Auch die Pressestimmen überschlugen sich förmlich.
»Ein Glücksfall für die Musik, für die Architektur, für Hamburg, für Deutschland!«
Die Welt
Der britische Telegraph stellte sie gleich in eine Reihe mit der Golden Gate Bridge und dem Sydney Opera House, während die Times peinlich berührt zugeben musste, dass es in London »keine vergleichbare Halle« gäbe. »Die ganze Welt beneidet Hamburg um die Elbphilharmonie«, konstatierte das Wall Street Journal, und die New York Times prognostizierte für Hamburg den »Bilbao-Effekt«, der sich in der spanischen Stadt nach dem neuen Guggenheim-Museum von Frank Gehry eingestellt hatte.

Der Elphi-Effekt
Tatsächlich ist der Erfolg der Elbphilharmonie so umfassend, dass er sich kaum mit einem Satz oder einer Zahl ausdrücken lässt. Die deutlichste Sprache sprechen sicher die rund 2,9 Millionen Konzertbesucher in den gut drei Jahren von der Eröffnung bis zum Corona-Stillstand im März 2020 (und mehr als 3 Millionen bis heute). In den beiden Sälen erlebten sie mehr als 2.500 Konzerte; die Auslastung im Großen Saal liegt praktisch bei 100 %. Rechnet man die historische Laeiszhalle hinzu, die vom Boom der Elbphilharmonie noch profitiert hat, kommt man auf 1,25 Millionen Besucher pro Jahr, von denen die allermeisten übrigens keine Touristen sind, sondern aus der Metropolregion stammen. Das Konzertpublikum hat sich damit verdreifacht, die Zahl der Abonnenten sogar vervierfacht. Die Plaza, die an der Nahtstelle von altem Backstein-Speicher-Sockelbau und neuem Glas-Wellen-Aufbau einen wunderbaren Panoramablick über den Hafen bietet, wird im März 2022 schon ihren 15 Millionsten Besucher empfangen.

Statt auf die Zahlen kann man auch auf den Konzertkalender schauen – und feststellen, dass das Angebot in Qualität, Dichte und Vielfalt international einzigartig ist. Nirgendwo auf der Welt geben sich die führenden Sinfonieorchester, Dirigenten und Solisten mit solcher Regelmäßigkeit die Klinke in die Hand. Ein Gastspiel in der Elbphilharmonie gehört in der Premium Class der Klassik fast schon zum guten Ton. Zum hochklassigen Portfolio tragen natürlich auch die Hamburger Klangkörper bei – allen voran das NDR Elbphilharmonie Orchester. Als Residenzorchester des Großen Saales bildet es mit seinen Abokonzerten und spektakulären Sonderprojekten wie György Ligetis Oper »Le Grand Macabre« so etwas wie das Rückgrat des künstlerischen Programms. Das Ensemble Resonanz als Residenzensemble des Kleinen Saales, das Philharmonische Staatsorchester und die Symphoniker Hamburg setzen weitere Akzente in der Intensivierung des Konzertlebens.
Gleichzeitig beschränkt sich das Angebot eben nicht auf Klassik, sondern umfasst auch Jazz, Pop, Musik aus aller Welt und liebevoll kuratierte Familienkonzerte. Festivals mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten – rund um vielseitige Künstlerpersönlichkeiten wie die Sitar-Virtuosin Anoushka Shankar oder die Performance-Künstlerin Laurie Anderson, fokussiert auf Regionen wie Syrien, Polen, Island oder den Kaukasus oder Komponisten von Charles Ives über György Ligeti und Iannis Xenakis bis zu George Benjamin. Immer wieder schauen auch lebende Legenden anderer Sparten vorbei: Burt Bacharach, Bryan Ferry, John Cale und Caetano Veloso, Rockbands wie Wilco oder The National und Underground-Stars wie Anohni oder Solange, die für die Elbphilharmonie exklusive eigene Shows kreiert haben. Der Modeschöpfer Karl Lagerfeld, gebürtiger Hamburger, nutzte den Großen Saal 2017 sogar als XXL-Laufsteg.
Highlights aus fünf jahren Elbphilharmonie
DIE PERFEKTE SYMBIOSE AUS ARCHITEKTUR UND MUSIK
Künstler und Publikum lockt eine spektakuläre äußere Architektur, die sich im Inneren konsequent fortsetzt, von der »Tube« genannten gebogenen Rolltreppe über die auch ohne Konzertticket öffentlich zugängliche Plaza bis zur räumlich raffiniert gestalteten Foyerlandschaft. Für Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter macht genau das den Unterschied: »Die Aufenthaltsqualität ist entscheidend. Durch das architektonische Gesamterlebnis des Gebäudes sind die Besucher viel neugieriger und offener für die Musik. Das wiederum ermöglicht ein spannenderes Programm.« Herzstück des Hauses ist natürlich der Große Saal. Im Gegensatz zur verbreiteten Frontalbespielung ist er im annähernd runden »Weinberg-Design« gehalten, mit Plätzen rings um die Bühne. Dadurch ist nicht nur die räumliche Nähe zwischen Publikum und Künstlern gewährleistet; es entsteht auch ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl und ein intensiveres Konzerterlebnis.
Optisch und akustisch prägend ist seine »Weiße Haut«: Die Wände und Brüstungen sind mit 10.000 individuell gefrästen Gipsplatten verkleidet, die annähernd die Größe eines Fußballfeldes einnehmen und für eine optimale Schallbrechung und -verteilung im Raum sorgen. Für die computergestützte Berechnung und Fertigung der Oberfläche zeichnet der japanische Akustiker Yasuhisa Toyota verantwortlich. Lieben-Seutters in vielen Konzerten erworbene Einschätzung: »Die Akustik ist für viele Arten von Musik fantastisch, vor allem für komplexere Partituren, für moderne Musik, für Elektroakustik, aber auch für Alte Musik auf Originalinstrumenten, die nicht so durchschlagskräftig sind. Sie ist so fokussiert und intim, dass auch die leisesten Nuancen und feinsten Schwingungen der Instrumente sehr gut bis in die letzte Reihe zu hören sind.«
Nicht minder von Künstlern und Besuchern ins Herz geschlossen wurde der Kleine Saal. Hier bestehen die Wände aus französischem Eichenholz, das ebenfalls in eine akustisch wirksame (und ungeheuer organisch anmutende) Form gefräst wurde. Die flexible Anlage macht unterschiedliche Konfigurationen möglich: Im klassischen »Schuhkarton«-Setting befindet sich die Bühne an der Kopfseite vor ansteigenden Stuhlreihen. Die Tribüne lässt sich jedoch komplett einziehen, so dass sich der Raum auch für Tanzveranstaltungen oder Bankette eignet. Von Kammermusik und Liederabenden über szenische Familienkonzerte bis zu Elektro und ungewöhnlichen Konzertformaten findet hier alles statt, was dem qualitativen Anspruch des Hauses genügt und seine Programmvielfalt erweitert.
HAUS FÜR ALLE
Neue Standards setzt auch die breit angelegte Musikvermittlung. Schon das Konzertangebot für alle Altersklassen vom Baby bis zum Abiturienten ist umfassend. Ziel ist jedoch eine aktive Teilhabe und Mitgestaltungsmöglichkeit am musikalischen Geschehen über das reine Konzerterlebnis hinaus, etwa in Workshops, Künstlerbegegnungen und einer Fülle weiterer Andockpunkte. Mehr als 3400 Veranstaltungen mit fast 200.000 Gästen beweisen, wie groß der Bedarf ist und wie dankbar dieses Angebot angenommen wird.
»Jedes Kind der Stadt soll mindestens einmal die Elbphilharmonie besucht haben.«
Olaf Scholz
Mit der »Instrumentenwelt« im Sockelbau steht dafür ein eigener Bereich mit mehreren Räumen zur Verfügung. Von der Piccoloflöte bis zur Tuba und vom Synthesizer bis zum balinesischen Gamelan-Schlagwerk liegen hier auch alle nur denkbaren Instrumente zur Erkundung bereit, wenn jeden Vormittag Schülerinnen und Schüler im Klassenverband in die Welt der Musik eintauchen. Für Kita-Besuche in den Stadtteilen gibt es das »Klingende Mobil«, einen Transporter voller Instrumente und anderer Dinge zum Musikmachen. Viel Freude an der Musik und eine intensive Bindung ans Haus vermitteln auch die fünf Laien-Ensembles, in denen Menschen aus der Stadtgesellschaft regelmäßig zum Proben und Konzertieren in der Elbphilharmonie zusammenkommen.
»Die Elbphilharmonie ist das schönste Schiff, das nie in See stechen wird«, fasste Intendant Christoph Lieben-Seutter seinen Eindruck in der Eröffnungsrede am 11. Januar 2017 zusammen. »Sie liegt fest vertäut im Hafen und schon jetzt auch fest vertäut im Herzen der Stadt.« Fünf Jahre später zeigt sich: Er hat Recht behalten. Die Vision trägt.
Text: Clemens Matuschek