None

Umgehört: Southern Soundtrack

Eine Frage, sieben Antworten: »Wie klingt der Süden für Sie?«

Text: Ivana Rajič, 31. Juli 2024

 

Im Elbphilharmonie Magazin-Format »Umgehört« wird es ganz schön persönlich: Sieben Künstler:innen – ob komponierend oder musizierend, Pop oder Klassik – stellen sich einer Frage und offenbaren ihr (Innen-)Leben. In dieser Ausgabe lautet sie: »Wie klingt der Süden für Sie?«   

Es geht um ein Mit- und Nebeneinander von unterschiedlichen Perspektiven auf umfassende Themen, die im Grunde genommen auch nur aus einzelnen subjektiven Erfahrungen zusammengesetzt sind.

Siobhan Stagg

Siobhan Stagg
Siobhan Stagg © Dylan Coker

Ihr Vorname mag irisch sein, doch Siobhan Stagg kam im australischen Bundesstaat Victoria zur Welt, dessen Klangkulisse sie immer noch – auch in ihrer Wahlheimat Berlin – begleitet: »Ich wuchs in der südlichen Hemisphäre auf, wo der Soundtrack zur Natur australischer Vogelgesang ist«, erklärt die charismatische Sopranistin. »Lachende Kookaburras, zwitschernde Elstern, heitere Möwen, die sich an Fish-and-Chips-Einpackpapier abarbeiten, während die Wellen des Ozeans an den Sandstrand schlagen. Barbecues brutzeln, Klimaanlagen dröhnen, Kinder kichern, Tennisbälle prallen bei den Australian Open auf. Das sind die Geräusche des Sommers in Down Under.« Auch das Konzertleben dort sei mindestens so vielseitig: »Musikalisch hat Australien die Klänge der Welt übernommen «, sagt Stagg. »Vor Konzerten würdigen wir die Indigenen des Landes, das wir unser Zuhause nennen. Die warmen, erdigen Klänge des Didgeridoos und der Clapsticks können ertönen, wenn ein angesehenes Mitglied der First Nations Community ein ›Welcome to Country‹ anstimmt.«

Alex Nante

Alex Nante
Alex Nante © privat

Überall in der Stadt wird getanzt, und die Musik ist allgegenwärtig: Alex Nante, einer der bedeutendsten lateinamerikanischen Komponisten seiner Generation, ist in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires aufgewachsen – »der Ort, den meine Großeltern wählten, als sie Europa hinter sich ließen und sich der Nostalgie hingaben«, verrät er. Von der pulsierend rhythmischen Chacarera bis hin zu den Baguala-Gesängen mit ihrem charakteristischen Falsett genießt der 32-Jährige »den Klang der schönen Folklore meines Landes«. Dazu gehört natürlich auch der Tango. »Mein Schwiegervater spielt ihn auf der Gitarre. Sein Instrument begleitet alle Familientreffen.« Und wenn Nante der Klangkulisse der 16-Millionen-Metropole entkommen möchte, fährt er hinaus aufs Land und genießt »die Geräusche der Pampa, die Brise, die die Bäume streichelt, den Klang der Tiere hier und da – besonders den Gesang des ›Tero‹, ein großer Regenpfeifer, der in dieser Region vorkommt.«

Ramadu

Ramadu
Ramadu © 10th District Music / Tswarelo Mothobe

Egal, ob beim Wetter oder in der Musik: »Für mich geht es im Süden immer um Wärme«, verrät der in Simbabwe aufgewachsene und in Wien lebende Sänger, Songwriter und Produzent Ramadu. Während die Temperaturen dort (zumindest aus Hamburger Sicht) ganzjährig angenehm sind, zeichnet die Klänge des südlichen Afrika eine extreme Vielfalt aus. »Das hängt von den Provinzen und den verschiedenen Stämmen ab«, erklärt Ramadu. Bei den Shona im Osten Simbabwes seien die metallischen Klänge der Mbira oft zu hören. Im Südwesten bei den Ndebele hingegen dominiere rhythmisch begleiteter Chorgesang. »Die zeitgenössische Musik in Simbabwe ist von all diesen Traditionen inspiriert: Künstler wie Mokoomba aus Victoria Falls sind von den Tonga im Dreiländereck zwischen Simbabwe, Sambia und Botswana geprägt, wir im Süden aber stärker von Südafrika, von der Zulu-Musik«. Letztere hat Ramadu in seinem Projekt MoZuluArt mit Mozart fusioniert und dem so »ein wenig Groove« verpasst.

Aruna Sairam

Aruna Sairam
Aruna Sairam © Studio 52, London

»In der Stadt Chennai, auch bekannt als Madras, in der ich lebe, sind die Straßen immer voller Menschen«, erzählt Aruna Sairam, eine der wichtigsten Stimmen der klassischen indischen Musik. Eine dieser Straßen führt zu einem mehr als tausend Jahre alten Tempel und einer ganz anderen Klangkulisse: »Man hört Tempelglocken, die Gesänge der Priester, die Nadaswaram, ein außergewöhnliches oboenähnliches Instrument, das im Innenhof der Tempel gespielt wird.« Dort – wie auch in klassischen Konzertsälen – erklingt die karnatische Musik Südindiens, die sich aus alten Hindu-Traditionen entwickelt hat und von der Vokalkünstlerin selbst praktiziert wird. »Diese Klangwelt ist geprägt von virtuosen Verzierungen und Improvisationen«, erklärt die 71-Jährige. »Man muss jahrelang üben, um die Grammatik und das Idiom der Musik zu lernen. Gleichzeitig ist sie ein Ausdruck von starken Gefühlen und spirituellen Neigungen. Ich finde es einzigartig, dass eine so virtuose und akademische Musik auch ein Weg zu tiefster Andacht sein kann.«

Gamelan-Ensemble

Gamelan-Ensemble
Gamelan-Ensemble © Claudia Höhne

Die Antwort auf die Frage, welchen Klang die Mitglieder des Elbphilharmonie Gamelan-Ensembles mit dem Süden verbinden, fällt einstimmig aus: das Gamelan natürlich – ein Instrumentarium aus indonesischen Gongs, Trommeln und Metallofonen, das vor Jahrhunderten auf den Inseln Bali und Java entstand und das für Ronald Monem »Helligkeit, Wärme und eine Prise Faszination « ausdrückt. »Der Klang ist mal zart, ätherisch, hypnotisch – um sich im nächsten Moment in eine Welle unbändiger Energie zu verwandeln«, ergänzt Mario Dütsch-Willmann. Xin Wei Thow wiederum studiert die Gamelan-Musik in Surakarta, Zentraljava, und assoziiert mit ihr auch ein »hektisches Treiben, das tagsüber in den Straßen der Stadt herrscht«. Ähnliche Assoziationen hat der Ensemble-Leiter Steven Tanoto, der in Nord-Sumatra aufgewachsen ist. Er denkt an den »Klang hupender Autos ebenso wie an schimpfende Frauen der indigenen Batak auf dem Markt, an Gebetsrufe aus den verschiedenen Moscheen, die sich kontrapunktisch miteinander verzahnen, und die Terzharmonien des Chors in der Batak-Kirche«.

Zubin Kanga

Zubin Kanga
Zubin Kanga © Raphael Neal

Die zeitgenössische Musik Australiens zeichne sich durch vielfältige Klangwelten aus, denn sie sei »ein komplexer Schmelztiegel globaler Musikkulturen«, sagt der Pianist und Komponist Zubin Kanga: »Im letzten Jahrhundert hatten viele Komponisten eine enge Beziehung zu den zeitgenössischen klassischen Traditionen Europas und Nordamerikas. In jüngerer Zeit gibt es immer mehr Komponisten mit Migrationshintergrund, die sich auf die Kultur ihrer Vorfahren stützen, vom indonesischen Gamelan bis hin zur traditionellen Musik der peruanischen Anden. Zurzeit gibt es viele Zusammenarbeiten mit Komponisten und Interpreten der australischen First Nations, die auf ihre eigenen Jahrtausende alten Musikkulturen zurückgreifen.« Und dann gibt es noch solche Komponisten, die den Blick in die Zukunft richten und modernste Technologien für ihre Werke nutzen – wie Kanga selbst, der seinen klassischen Konzertflügel mit vielen Tech-Gadgets verkabelt, um dem Instrument nie gehörte Klänge zu entlocken.

Latin Strings

Latin Strings
Latin Strings © Marco Dalbon

»Der Süden klingt für uns nach Fest und Jubel und auch nach Melancholie und Nostalgie, nach einer reichen Palette von Farben und Rhythmen – Reflex einer harmonischen Verbindung von Traditionen und Kulturen«, so formuliert es das Streichquartett Latin Strings. Der Ensemble-Name ist Programm: 2015 in Lübeck gegründet, widmen sich die vier jungen Musikerinnen und Musiker aus Chile und Venezuela besonders der Musik ihrer Heimat – von traditionellen Tänzen und Musikstilen wie dem Joropo, dem Merengue und der Cueca bis hin zu Werken klassischer Musik. »Die klassische oder akademische Musik in Lateinamerika enthält Kompositionselemente der europäischen Klassik, ist aber auch von allen typischen Klängen aus Lateinamerika beeinflusst «, erklären die vier, die gern Werke von Heitor Villa-Lobos, Alberto Ginastera, Orlando Cardozo, Astor Piazzolla und Arturo Márque aufs Programm setzen und damit ihre »reiche Musiktradition auch in Deutschland und Europa bekannter machen« möchten.

 

Dieser Artikel erschien im Elbphilharmonie Magazin (Ausgabe 3/24).

Mediathek : Weitere Beiträge

Video abspielen

: Redchild

Große Release-Party mit 17-köpfigem Ensemble: Der Hamburger Sänger, Rapper und Produzent Redchild präsentiert sein Album »Griot«.

Video abspielen

: Reflektor Sophie Hunger: Ein Rückblick

Ein grandioses Wochenende mit der Singer-Songwriterin Sophie Hunger – mit vielen Pop Acts, Jazz, Orchester, Film und Literatur