Le Trio Joubran

Trio Joubran: Dreiklang in Holz

Drei Brüder aus Palästina fügen der arabischen Musik ein neues Kapitel hinzu.

Das arabische Wort für Holz kennen wohl die meisten europäischen Musikfreunde, ohne es vielleicht zu wissen: Oud, eben schlicht »Holz« – so heißt die im Vorderen Orient und in Nordafrika verbreitete Kurzhalslaute, die seit mehr als 1.000 Jahren das prägende Instrument dieses Raumes ist. Als »Fürstin der Musikinstrumente« gilt sie dort, in ihrem Stellenwert der abendländischen Geige vergleichbar.

Die arabischen Eroberer Spaniens im 10. Jahrhundert und später auch die rückkehrenden Kreuzfahrer brachten die Oud nach Europa, wo sich aus ihr die verschiedenen Formen der Laute (abgeleitet von al-Oud) entwickelten, die schließlich in der Renaissance und im Barock ihre Blütezeit erlebte. Doch dank des wachsenden Interesses an sogenannter Weltmusik ist heute auch das Original in unseren Breiten (wieder) als solches bekannt.

»Die Oud war vor allem zur Gesangsbegleitung vorgesehen«

Le Trio Joubran (feat. Roger Waters): Carry the Earth

Emanzipation eines Begleitinstruments

Dafür bedurfte es freilich eines wesentlichen Entwicklungsschritts in der traditionellen Rolle der Oud. In all ihrer klanglichen Vielfalt nämlich war sie die längste Zeit vor allem zur Gesangsbegleitung vorgesehen. Erst der irakische Virtuose Munir Baschir (1930–1997) zeigte mit seinen ausgedehnten Solo-Improvisationen das Potenzial der Oud auf und hatte damit weltweit Erfolg. So paradox es zunächst klingen mag, erst durch diese Emanzipation der Oud wurde die musikalische Überraschung möglich, die drei Brüdern aus Palästina 2005 gelang: Samir, Wissam und Adnan Joubran (geboren 1973, 1983 und 1985) waren die Ersten, die mit dem neu gewonnenen Soloinstrument im Trio spielten – eine kleine Sensation im Rahmen der arabischen Musik.

Nur für Blog
Nur für Blog © Myriam Boulos

Joubran: Eine Familie für die Oud

Die Joubrans stammen aus einer musikalischen Familie in Nazareth, der Vater ein angesehener Instrumentenbauer, die Mutter Sängerin, da war der berufliche Lebensweg der drei Brüder vorgezeichnet: »Es war immer Vaters Wunsch, Samir, den Ältesten, Oud spielen zu lassen«, erzählt Adnan, der jüngste Bruder. »Samir studierte in Kairo, und das ließ ihn davon träumen, der Oud Türen zu öffnen, die dem Instrument in Palästina bis dahin verschlossen waren.« Schon in den Neunzigern zählte Adnan zu den besten Oud-Solisten der arabischen Welt. »Es war aber auch klar, dass einer von uns dreien den Instrumentenbau in vierter Generation fortführen sollte«, berichtet Adnan weiter, »und dafür war Wissam vorgesehen.« Schon mit fünf Jahren baute Wissam seine erste Oud, später ging der Perfektionist als erster arabischer Student ans Stradivari-Institut nach Cremona.

Ouds auf einem Markt in Ägypten
Ouds auf einem Markt in Ägypten © Albert Dezetter / Pixabay

Adnan selbst wollte ursprünglich das, was alle jüngsten Brüder wollen – etwas ganz anderes: »Ich habe mein Bestes getan, um mich abzugrenzen, habe versucht, meiner Leidenschaft fürs Kino zu folgen. Doch einmal, als meine Brüder unterwegs waren, habe ich mich an Wissams Oud geschlichen und versucht, darauf zu improvisieren. Obwohl ich das Instrument noch nie in Händen gehalten und das auch nie gewollt hatte, konnte ich es.« Damals war Adnan gerade 16 – und nur zwei Jahre später stand er mit seinen Brüdern auf der Bühne.

»Wir waren das erste Trio aus Oud-Spielern, das war eine große kulturelle Herausforderung.«

Adnan Joubran

»Wir waren das erste Trio aus Oud-Spielern, das war eine große kulturelle Herausforderung«, sagt Adnan und kann ganz klar die Inspiration dazu benennen: Es war »Friday Night in San Francisco«, der berühmte Mitschnitt eines Konzerts der drei Gitarrenvirtuosen Paco de Lucía, John McLaughlin und Al Di Meola im Dezember 1980. »Meine Brüder spielten mir dieses Album vor – und es brachte uns zum Träumen.« Aus den Träumen erwuchs »Randana« (2005), das Debüt-Album des Trios Joubran.  Es wurde nicht nur durch die für die arabische Musik neuartige Besetzung, sondern auch durch die Nähe zu Jazz und Flamenco, die atemberaubende Virtuosität der drei vereinten Solisten und ihre ans Gedankenlesen grenzende Kommunikation bei der Improvisation zu einer Überraschung.  

Al Di Meola, John McLaughlin, Paco de Lucía: Friday Night in San Francisco

Der Gesang dominiert

Schon Munir Baschir, der große Oud-Neuerer, hatte behutsam Einflüsse aus Europa und dem mittleren Osten in die arabische Musik einfließen lassen. Auf dieser Basis sieht Adnan auch das Projekt des Trios: »Es ist eine Veränderung der orientalischen Musikauffassung, in der bis heute der Sänger dominiert. Doch auch viele andere Oud-Spieler arbeiten an dieser Bewegung der Instrumentalmusik, etwa Anouar Brahem, Rabih Abou-Khalil oder Dhafer Youssef.«

Damit nennt Adnan Joubran einige Innovatoren, die wie er selbst eine große Affinität zum Jazz haben. Für ihn selbst sind der Pianist Keith Jarrett und der grenzüberschreitende Flamenco-Gitarrist Paco de Lucía die größten Idole; Wissam wurde vom ägyptischen Oud-Spieler, Komponisten und Sänger Abdel Wahab geprägt und Samir von traditionellem arabischen Gesang. »Wir alle hören unterschiedlichste Musik: Jazz, Tango, Pop, klassische westliche sowie östliche Musik … wir finden Inspirierendes in jedem Genre.«

Anouar Brahem
Anouar Brahem © Marco Borggreve / ECM Records

Inspirator und Kollege: Auch der Oud-Virtuose Anouar Brahem war schon in der Elbphilharmonie zu Gast.

Munir Bashir: Taqsim Nahawand Kabir

Feste Familienbande

Le Trio Joubran
Le Trio Joubran © Ahmad Maizer

Bei den Joubrans sorgen feste Familienbande und die Verankerung in der eigenen Kultur dafür, dass die Resultate des gemeinsamen Musizierens niemals ins Beliebige abrutschen. »Wir lebten früher im gleichen Haus, reisten zusammen, aßen das Gleiche, hörten den gleichen Lärm, sahen die gleiche Welt – natürlich können wir in der Persönlichkeit des anderen lesen. Auch bei der musikalischen Fortbildung gingen wir anfangs ähnliche Wege. So entwickelten wir ein großes Verständnis füreinander, Instinktsicherheit und ein Gefühl für unseren Herzschlag«, erzählt Adnan. »Heute ist unsere Beziehung genug gefestigt, dass wir in verschiedenen Städten leben können, unsere eigenen Familien haben und uns doch auf Anhieb verstehen, wenn wir zu Konzerten oder im Aufnahmestudio zusammenkommen.«

»In Palästina ist das Leid mit Händen zu greifen. Hier zu musizieren bedeutet auch, ein wenig Freude zu bringen«

Adnan Joubran

Formuliert wird diese Botschaft von der Poesie des palästinensischen Dichters Mahmud Darwisch (1941–2008), der die Titel der Kompositionen zitathaft entnommen wurden. Laut Adnan wollte Darwisch mit seinen Gedichten »dieser Welt der Industrie und der Macht sagen, dass wir Menschen sind und unsere Menschlichkeit bestehen bleiben sollte«. Eines der Stücke etwa, »Carry the Earth«, ist vier Kindern gewidmet, die bei einem Fußballspiel am Gaza-Strand von israelischen Streitkräften erschossen wurden. Die Klangwelt von »The Long March« ist ebenfalls eher elegisch und verhalten, aber doch nicht düster oder trostlos: »In Palästina ist das Leiden mit Händen zu greifen. Hier zu musizieren bedeutet auch, ein wenig Freude zu bringen.«

Auf die Frage, ob das Trio als international bekannte Gruppe auch politischen Einfluss habe, entgegnet Adnan: »Wir gehören keiner politischen Partei oder Position an. Die Situation in Palästina ist eine menschliche Katastrophe. Und wir sind die Stimme dieser Katastrophe – lauter als die Stimme jener, die dort ungehört schreien. Es liegt an denen, die sich unsere Geschichten anhören, Position zu beziehen oder Maßnahmen zu ergreifen … und wir hoffen, dass es menschliche Positionen und Maßnahmen sein werden.«

Text: Marcus A. Woelfle, Stand: 14.01.2020

Dies ist ein Auszug aus einem Artikel im Elbphilharmonie Magazin (01/2019), das drei Mal pro Jahr erscheint. Hier die aktuelle Ausgabe bestellen

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