Magazin »vorwärts!«

Stichwort »Vorwärts!« – die Playlist

Die Playlist rund ums Thema »Vorwärts!« – aus dem Musiklexikon der Elbphilharmonie.

HANNS EISLER / BERTOLT BRECHT: SOLIDARITÄTSLIED

»Vorwärts und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht!«

Mit markigen Worten und zackiger Melodie riefen die überzeugten Kommunisten Brecht und Eisler 1929 zum Klassenkampf auf: »Proletarier aller Länder, einigt euch und ihr seid frei.« Die Verwendung im Agitprop-Film »Kuhle Wampe« befeuerte die Verbreitung des Solidaritätsliedes zusätzlich. Damit setzte sich Eisler deutlich von der bourgeoisen Hochkultur seines Lehrers Arnold Schönberg ab – nur folgerichtig, dass er 20 Jahre später die Nationalhymne der DDR lieferte.

Doch so einfach zu fassen ist Eisler auch wieder nicht: Er schrieb Filmmusik für Hollywood und behielt auch als DDR-Ehrenbürger nicht nur seinen österreichischen Pass, sondern stets eine Prise (Selbst-)Ironie. Zum »Lied der Arbeitslosen« notierte er die Vortragsanweisung: »Dieses Lied singt man am besten so: Zigarette im Mundwinkel, Hände in den Hosentaschen, leicht grölend, damit es nicht zu schön klingt.«

Dies ist ein Artikel aus dem Elbphilharmonie Magazin (Ausgabe 03/2021), das drei Mal pro Jahr erscheint.

HANS CHRISTIAN LUMBYE: KOPENHAGENER EISENBAHN-DAMPF-GALOPP

Nur wenige Erfindungen haben die Menschheit so vorangezogen wie die Dampflokomotive – und wohl keine andere wurde von Komponisten so oft und so hingebungsvoll vertont. Wo auch immer in Europa Eisenbahnlinien in Betrieb gingen, folgten entsprechende Stücke, die meist den Genretitel »Galopp« trugen und damit auf die ungeheure Geschwindigkeit des »Dampfrosses« verwiesen.

So hielt es 1847 auch Hans Christian Lumbye, Dirigent und Hauskomponist des Orchesters vom Kopenhagener Vergnügungspark Tivoli. Ohnehin pflegte der »Johann Strauß des Nordens« eine Vorliebe für Sonderinstrumente und Klangeffekte. Und so schnauft, faucht, rattert und tutet seine Zug-Nummer, dass es eine Freude ist. Übrigens:100 Jahre später kam dieser Trend auch im Jazz an, mit »Chattanooga Choo Choo«, dessen Melodie Udo Lindenberg wiederum für seinen »Sonderzug nach Pankow« entlehnte.

© Youtube / ff4610
Hans Christian Lumbye: Kopenhagener Eisenbahn Dampf Galopp / Wiener Philharmoniker

FRANZ SCHUBERT: DER WEGWEISER

Wir alle bewegen uns vorwärts durch die Zeit. Wir werden geboren, wir altern, wir sterben. Unausweichlich. Diese lakonische Erkenntnis steht im Zentrum von Schuberts düsterem Liederzyklus »Winterreise« – verbunden mit der bitteren Pointe, dass das lyrische Ich den Tod sogar selbst sucht. Gebeutelt von Liebeskummer und gesellschaftlicher Isolation, wankt es 24 Lieder lang durch eine erstarrte Welt, mit flackernden Gedanken und einer einzigen Sicherheit als Wegweiser: »Eine Straße muss ich gehen, die noch keiner ging zurück.« Kurz vor seinem eigenen viel zu frühen Tod vollendete Schubert 1827 die »schauerlichen Lieder«, wie er sie selbst nannte. Inwieweit sich der beruflich und amourös eher erfolglose Komponist mit dem Protagonisten identifizierte, wird seither von der Forschung heiß diskutiert, ist aber letztlich egal – seine Musik ist unsterblich.

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Elbphilharmonie Magazin | Vorwärts!

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None © Elbphilharmonie Hamburg

JOHN PHILIP SOUSA: STARS AND STRIPES FOREVER

Wenn ein Instrument das Motto »Vorwärts« verkörpert, dann das Sousaphon. Immerhin wurde es in den 1890ern als marschierfähiger Ersatz für die in dieser Hinsicht extrem unpraktische Tuba erfunden. Dabei sieht es ja schon kurios aus,wie eine Mischung aus bronzezeitlicher Lure und  Riesengrammophon, und es dürfte auch das einzige Instrument sein, das man sich zum Spielen über den Kopf zieht. Der Trichter des ersten Modells war schwenkbar und ließ sich auch nach oben  ausrichten, was ihm den Spitznamen »Raincatcher« einbrachte.

Entwickelt wurde es auf Anregung  des Amerikaners John Philip Sousa. Zwölf Jahre lang leitete er die bei jedem Staatsanlass präsente United States Marine Band und schrieb zahlreiche populäre Märsche wie »Stars and Stripes Forever«, der praktisch zur zweiten Hymne avancierte. Die Ironie: 1892 schied Sousa aus dem Dienst aus, um seine eigene Band zu gründen. Mit ihr gab er in 40 Jahren gut 15000 Konzerte – aber nur acht davon im Gehen.

ARNOLD SCHÖNBERG: STREICHQUARTETT NR. 2

Immer höher, schneller, weiter! In ihrem fast zwanghaften Bestreben, sich stetig vorwärts zu entwickeln, spiegelt die abendländische Hochkultur den unbedingten Fortschrittsglauben heutiger Industrienationen. Beispiel Musik: Die gregorianischen Choräle des Mittelalters sang man einstimmig, erst nach und nach wurden zusätzliche Intervalle erlaubt; ein vierstimmiger Bach-Satz wäre Gotteslästerung gewesen. Bach wiederum hätte über Richard Wagners wabernde Harmonik nur den Kopf geschüttelt.

Die maximale Eskalation besorgte 1908 Arnold Schönberg mit der Erfindung der atonalen Musik, die überhaupt keine Akkorde im herkömmlichen Sinne mehr kennt. Zu hören in seinem Streichquartett Nr. 2, bezeichnenderweise verstärkt um eine Sopranistin, die »Luft von anderem Planeten« schnuppert. Dass es auch anders geht, lehrt der Blick etwa nach Japan: Dort wird die Gagaku-Hofmusik seit über 1000 Jahren praktisch unverändert gepflegt.

JOHN ADAMS: SHORT RIDE IN A FAST MACHINE

»Wissen Sie, wie es ist, wenn man eingeladen wird, in einem tollen italienischen Sportwagen mitzufahren, und sich dann wünscht, man hätte es nicht getan?« So kommentierte Adams – als Amerikaner nie um einen lockeren Spruch verlegen – den Titel seines Orchesterstücks aus dem Jahr 1986, in Auftrag gegeben immerhin vom noblen Pittsburgh Symphony Orchestra. In gut vier Minuten vermittelt es tatsächlich den Eindruck, als hilfloser Beifahrer entfesselten Fliehkräften ausgeliefert zu sein.

Als Motor fungiert ein simpler Holzblock, der Hörer und Orchester mit 150 bpm gnadenlos vor sich her treibt – »auch die dicke Tuba und die Kontrabässe«, wie der Komponist feixte. Darüber schichtet Adams getreu den Prinzipien der Minimal Music immer komplexere Patterns, die sich am Schluss in einer Fanfare entladen »wie die letzte Stufe einer Rakete, die die Schwerkraft überwunden hat und ins Weltall schwebt«.

THE BEATLES: RAIN

Manchmal ist rückwärts das wahre Vorwärts. Die letzte Strophe von »Rain« – die B-Seite der 1966er Single »Paperback Writer« – etwa klingt wie reines Kauderwelsch. Nur wer sie rückwärts abspielt, versteht den Text. Zustande kam der kreative Geniestreich zwar nur, weil John Lennon ein paar Joints zu viel geraucht hatte und das Tonband, das er frühmorgens nach der Aufnahmesession abhören wollte, verkehrt herum einlegte.

Doch da die Beatles ohnehin gerade für Karlheinz Stockhausens Elektronik-Experimente schwärmten, behielten sie den Effekt bei. Und traten eine ungeahnte Lawine los. Fortan suchten fanatische Fans die gesamte Hitparade nach versteckten Botschaften ab und hörten mit heißen Ohren und reichlich Fantasie absurde satanische Schwüre und Aufrufe zum Drogenkonsum heraus. Was wiederum manche Band zu einem Spaß reizte: Wer Pink Floyds »Empty Spaces« rückwärts abspielt, hört: »Congratulations! You have just discovered the secret message.«

Text: Clemens Matuschek; Stand: 16 08.2021.

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