Ob mit Bodypercussion, Glocken oder Vibrafon: In ihrem Programm »Folie à deux« gestaltet die Perkussionistin Vanessa Porter hypnotische Klanglandschaften zwischen zarter Schönheit und eruptiver Gewalt. Das Konzert vereint Solo-Stücke, Improvisationen, elektronische Klänge und Musiktheater. Es erklingen drei neue Auftragswerke, eines davon stammt vom bedeutenden Komponisten Georges Aperghis.

Die Künstlerin
- Vielfach ausgezeichnete Perkussionistin aus Süddeutschland (*1992)
- verbindet aktuelle Werke mit Improvisation, Elektronik und darstellender Kunst
- spielt mit ihrer Schwester im Porter Percussion Duo
- gibt weltweit Konzerte und Workshops
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Vollständige Biografie
Vanessa Porter zählt international zu einer der vielseitigsten Perkussionistinnen und wird für verschiedenste Projekte, Konzertformate und Programme angefragt. Als Solistin verbindet sie aktuelle Werke mit Improvisation, Elektronik und darstellender Kunst und arbeitet mit namhaften Komponisten wie Georges Aperghis, Zeynep Gedizlioglu oder Ben-Amots Ofer zusammen.
Vanessa Porter ist 1. Preisträgerin des August-Everding Musikwettbewerbs München, des International Percussion Competition Luxembourg, des Music Creative Award Lindau und des PercussiveArt Contest Italy, erhielt das Deutschlandstipendium und war Stipendiatin der Kunststiftung Baden-Württemberg und des Deutschen Musikwettbewerbs.
Regelmäßig tritt Vanessa Porter bei Festivals wie dem Schleswig-Holstein Musik Festival, dem IPEW Kroatien und dem Kalima Festival Schweiz auf. Durch ihre enge Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut reist sie regelmäßig in die USA und gibt vor Ort Workshops und Konzerte, zuletzt wurde sie mit dem Percussion Duo Porter auf eine 4-wöchige Südamerika Tour nach Peru, Kolumbien, Brasilien und Costa Rica eingeladen. Durch ihre jahrelange Erfahrung im Education-Bereich arbeitet sie mit verschiedenen Hochschulen und Akademien zusammen, wie der International Summer Academy of Music und hielt im Rahmen der WorldPercussionGroup Workshops u.a. an der Sibelius Academy Helsinki oder der University of Birmingham. Von 2017-2018 unterrichtete sie an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart im Nebenfach Schlagwerk.
Nach Studien am Royal Collage of Music in London (bei David Hockings) und der Musikhochschule in Lübeck (bei Johannes Fischer) schloss Vanessa Porter im Sommer 2018 ihr Master-Studium an der Musikhochschule Stuttgart (bei Marta Klimasara, Klaus Dreher und Jürgen Spitschka) mit Bestnote ab.
Nominiert von Festspielhaus Baden-Baden und Kölner Philharmonie
Programm :»Folie à deux«
Salvatore Sciarrino
Appendice alla perfezione für 14 Glocken (1986)
Vinko Globokar
?Corporel für Bodypercussion (1984)
David Lang
The Anvil Chorus (1991)
Georges Aperghis
The Messenger für Zarb und Stimme (2020)
Kompositionsauftrag von Kölner Philharmonie, Festspielhaus Baden-Baden und European Concert Hall Organisation (ECHO)
Emil Kuyumcuyan
Shapes für Vibrafon (2020)
Georges Aperghis
Le corps à corps für Zarb und Stimme (1982)
Alexander Sandi Kuhn
À Deux für Vibrafon (2020)
Backstage-Eindrücke
Abseits der Norm :Ein Gespräch mit Vanessa Porter über ihr Programm mit dem ungewöhnlichen Titel »Folie à deux« – »Geistesstörung zu zweit«
Frau Porter, schon der Blick auf die Programmankündigung verrät ein besonderes Konzert. Was erwartet das Publikum?
Eine Mischung aus Perkussion-Solo-Werken, Klanginstallationen und Musiktheater. Das hat sich durch die Zusammenarbeit mit Regisseuren entwickelt, weshalb sehr viel szenisch auf der Bühne passiert.
Um was geht es dabei?
Das Programm heißt »Folie à deux«, benannt nach der sogenannten »gemeinsamen psychotischen Störung«, einer Krankheit, bei der zwei Menschen mehr oder weniger gleichzeitig und voneinander abhängig wahnhaft werden. Den Verlauf dieser Krankheit, ihre Höhen und Tiefen, stelle ich auf der Bühne dar. Nicht plakativ, sondern eher unterschwellig. Wobei das Krankheitsbild durchaus deutlich werden soll: wie etwa die düsteren Seiten durch die Klanginstallationen. Aber auch die vertrauten und liebevollen Seiten dieser wahnhaften Störung werden in der Musik thematisiert. Auf der Bühne spiele ich abwechselnd diese zwei Menschen – mal bin ich der Beobachtende, mal der Wahnhafte, mal habe ich die Erkenntnis, dass hier gerade etwas nicht stimmt. Es ist ein ständiger Wechsel aus Schizophrenie, Zurückhaltung, Erkenntnis, Verdrängung, Realität.

Klingt ganz nach der Form eines inszenierten Konzerts?
Könnte man sagen. Wobei zwei Drittel des Programms von mir gespielte Solowerke sind. Aber da wir die klassisch-konventionelle Applaussituation vermeiden wollten, ist ein 70-minütiges durchgehendes Programm entstanden. Dafür gibt es zwischen den Solonummern Übergänge, so dass man das, was einen musikalisch erwartet, auch szenisch und visuell erleben kann. Die Kernfrage bei der Arbeit mit den Regisseuren war: Wie komplex darf das Projekt werden? Versteht das Publikum die Geschichte? Und muss es sie überhaupt verstehen, oder ist es auch in Ordnung, wenn jeder seine eigene Geschichte daraus macht? Entstanden ist ein Programm, das hilft, das Krankheitsbild »Folie à deux« zu verstehen, das aber gleichzeitig auch Freiräume lässt, eigene Erfahrungen damit zu assoziieren.
Welches Instrumentarium bringen Sie dafür mit? Manche Werktitel geben ja schon Hinweise, von Sciarrinos »Appendice alla perfezione« für 14 Glocken bis hin zu Globokars »?Corporel« für Bodypercussion.
Was ich auf gar keinen Fall machen wollte, ist das, was es schon zur Genüge gibt: Dass ein Schlagzeuger die Bühne vollstellt mit 200 Instrumenten und in einem Feuerwerk jedes einmal spielt. Meine Grundidee war, mit wenigen Mitteln möglichst viel zu erreichen. Ich möchte zeigen, dass man nicht immer ein riesiges Arsenal braucht, um eine interessante Geschichte zu erzählen. Ich spiele zum Beispiel zwei Stücke für nur eine Handtrommel, zu denen das Auftragswerk »The Messenger« für Zarb und Stimme von Aperghis gehört. Mein größtes Setup besteht aus Alltagsinstrumenten. Ich bringe zum Beispiel zwei Fässer mit, dazu Bremstrommeln, verschiedene Röhren. Neben den typischen Perkussion-Ausbrüchen gibt es auch viele intime Momente.
»Meine Grundidee war, mit wenigen Mitteln möglichst viel zu erreichen.«
Vanessa Porter
Mit Georges Aperghis’ »The Messenger« haben Sie schon ein Auftragswerk genannt. Dazu kommen noch zwei weitere Uraufführungen, nämlich »Shapes« von Emil Kuyumcuyan und »À deux« von Alexander Sandi Kuhn. Ist das nicht wahnsinnig fordernd?
Das ist es, sowohl physisch als auch psychisch. Wir haben in den Proben mehrmals ausprobiert, ob es funktioniert. Das Projekt verlangt die Dauerpräsenz auf der Bühne, jeder Blick, jede Bewegung ist einstudiert. Es gibt eigentlich keinen Moment, um mal durchzuschnaufen. Aber es ist auch eine schöne Herausforderung und es ermöglicht vielleicht eine Erfahrung, die abseits von der üblichen Konzertnorm liegt.

Wie kam es überhaupt dazu, dass wir gleich drei Uraufführungen in einem Konzert erleben können? Das gibt es sonst doch eher selten?
»Eine wahnsinnige Ehre. Georges Aperghis ist ein großes Vorbild für mich.«
Vanessa Porter
Zentral ist natürlich »The Messenger«, der Kompositionsauftrag der European Concert Hall Organisation an Georges Aperghis, was für mich eine wahnsinnige Ehre ist. Er ist ein großes Vorbild für mich, und ich habe schon viel von ihm gespielt. Ich habe ihn in Paris besuchen dürfen, wo wir gemeinsam arbeiten konnten. Allein das war eine unglaubliche Erfahrung für mich. Und dann habe ich, nachdem sich die Programmidee herauskristallisiert hatte, nach Stücken gesucht, die die verschiedenen Momente dieser Krankheit der »gemeinsamen psychotischen Störung« beschreiben. Weil das mit dem bestehenden Repertoire allerdings schwierig ist, habe ich noch zwei weitere Werke in Auftrag gegeben. Dafür habe ich mit den Komponisten gesprochen und ihnen die jeweilige Situation geschildert. Entstanden sind Stücke, die einerseits zum Programm passen, die es rund machen, die andererseits aber auch dem jeweiligen Stil ihrer Schöpfer entsprechen.
Was ist das für ein Werk geworden, das Aperghis für Sie komponiert hat?
In dem Stück erzähle ich eine Geschichte, weswegen es viele sprachliche Elemente hat. Grob gesagt beschreibt »The Messenger« die ganze Dramatik der Flüchtlingssituation, das Wegschauen, aber auch das passive Dabeisein. Was sich wiederum sehr gut auf »Folie à deux« übertragen lässt, weil man bei dieser Krankheit auch erst einmal zuschaut und nichts unternimmt. Bis es einen großen Knall gibt und man reagieren muss. Es ist ein sehr introvertiertes Stück für Zarb, eine iranische Handtrommel mit Ziegenfell bespannt, in dem ich auch viel sprechen werde.
Geben Sie uns doch noch einen Ausblick auf »À deux« von Alexander Sandi Kuhn, mit dem Sie Ihr Programm beschließen.
Das Programm ist teilweise bedrückend, schon allein deswegen, weil die Geschichte dieser Krankheit eine sehr bedrückende ist. Das Ganze sollte aber auch eine positive Ebene haben, weshalb das Konzert mit dem Werk von Alexander Sandi Kuhn friedvoll endet. Es soll ein bewusst offener Schluss sein, der noch einmal die Vertrautheit der beiden Personen betont. Man ist also zumindest nicht einsam mit dieser Krankheit, und auf eine gewisse Art ist »Folie à deux« auch ein großes Liebesgeständnis.
Das Gespräch führte Bjørn Woll zur Uraufführung des Programms im September 2020. Ein Originalbeitrag für die Kölner Philharmonie.
Das Konzert wurde am 23. Januar 2021 aufgezeichnet.
Veranstalter: HamburgMusik
In Kooperation mit ECHO - European Concert Hall Organisation
Mit Unterstützung der M.M.Warburg & CO.