Text: Simon Chlosta, 30.01.2025
Für Patricia Kopatchinskaja ist der Konzertsaal Arena und Spielplatz zugleich. Arena, weil das Auftreten vor Publikum für sie immer auch etwas Kämpferisches hat: »Man kann sich gar nicht vorstellen, was so ein Solistenleben bedeutet. Du stehst da, schwitzt wie ein Schwein und wirst von tausend Leuten angestarrt«, beschrieb die moldauische Geigerin ihr Gefühl auf der Bühne schon vor einigen Jahren in einem inzwischen legendären Zitat. Und Spielplatz, weil sie ein Konzert als einen Ort zum Ausprobieren begreift, an dem Fantasien und Geschichten lebendig werden, an dem man experimentieren kann – und ja, auch scheitern darf. »Ein Konzert sollte immer etwas sein, wo es Überraschungen gibt, wo es auch ein bisschen gefährlich ist, wo Fragen entstehen«, lautet ihr künstlerisches Credo.
In Hamburg konnte man derartige musikalische Wagnisse schon mehrfach erleben. Eine Auswahl: An der Seite von Teodor Currentzis präsentierte Kopatchinskaja Beethovens Violinkonzert in der Laeiszhalle – inklusive eigener Koadenzen, wofür sie neben Standing Ovations auch einige Buh-Rufe kassierte. Bei einer Konzert-Performance auf Kampnagel inszenierte sie mit dem Mahler Chamber Orchestra Haydns »Abschiedssinfonie«, indem sie diese rückwärts aufführte. Und für die Elbphilharmonie konzipierte sie zuletzt Programme, die musikalisch auf den Klimawandel reagierten. Selbst wenn das manchen manchmal etwas plakativ erscheinen mag, muss man doch eingestehen: Belanglos sind Kopatchinskajas Auftritte nie.

Der Weg zur Musik
Mit ihren ausgefallenen Ideen und ihrem nicht immer auf Schönheit ausgerichteten Spiel einen Platz in der Musikwelt zu finden, war für die 1977 in Chișinău, der heutigen Hauptstadt der Republik Moldau, geborene Künstlerin nicht immer einfach: »Ein junges Mädchen, wie ich es vor zwanzig Jahren war, hatte weniger Chancen mit innovativen Ideen oder eigenen Vorstellungen. Das war wirklich schwierig. Aber ich habe trotzdem Leute gefunden, die mit mir diesen Weg gegangen sind. Und heutzutage habe ich überhaupt keine Schwierigkeiten, jemanden zu überzeugen. Ich denke, Leute, die mich einladen, wissen schon, worauf sie sich einlassen.«
Waren ihre Großeltern noch Bauern, bei denen sie viel Zeit auf dem Land verbrachte, kommt Kopatchinskaja mit der klassischen Musik durch ihre Eltern in Berührung. Ihr Vater war einer der berühmtesten Zymbalspieler der Sowjetunion, ihre Mutter als Geigerin tätig. 1989 emigriert die Familie nach Wien und erhält die österreichische Staatsbürgerschaft. Für Kopatchinskaja ändert sich das Leben schlagartig. »Du kommst mit dem Zug aus Moldawien, einem chaotischen Land mit Feldern voller Kot und Müll. Dann, nach der österreichischen Grenze, wird die Welt immer quadratischer und gepflegter, klarer«, beschreibt sie diesen Moment. Während der Vater sein Musikerdasein aus ökonomischen Gründen aufgeben muss, beginnt die Tochter in Wien ein Violinstudium, ehe sie mit einem Stipendium an die damalige Hochschule für Musik und Theater in Bern wechselt. Die Schweizer Bundesstadt ist auch heute noch ihr Lebensmittelpunkt, hier lebt sie mit ihrer Familie, die Camerata Bern gehört zu ihren engsten künstlerischen Partnern und ist auch auf den meisten ihrer Aufnahmen zu hören.
Interessanter Störfaktor
Dank ihres unkonventionellen Auftretens wird die junge Geigerin bald international bekannt. Kopatchinskaja steht in der Regel barfuß auf der Bühne (um die »direkte Verbindung mit der Erde« zu spüren) und spielt stets aus Noten – wegen des Lampenfiebers, aber auch, um ein Stück immer wieder neu zu lesen, wie sie sagt. Ihre Konzerte gleichen oft einer Performance, nicht selten nutzt sie beim Spielen ihre Stimme, singt oder schreit sogar, wie in ihrer selbst entworfenen Kadenz zu György Ligetis Violinkonzert (in der sie auch das Publikum zum Mitschreien anstachelt). All dies macht sie zu einem interessanten Störfaktor innerhalb des auf Perfektion getrimmten Klassikbetriebs.
Eine ihrer Paraderollen ist inzwischen die des »Pierrot lunaire« in Arnold Schönbergs gleichnamigen Melodram; eine Art Clownsfigur, ein Außenseiter, mit dem sich Kopatchinskaja gut identifizieren kann: »Ich fühle mich schon mein ganzes Leben als Pierrot.« Auch neben der Bühne eckt sie an, sagt, was sie denkt, kritisiert ihre eigene Branche. »Wir Musiker sind in gewisser Weise elitäre Wesen, wie Höflinge gehalten. Wir spielen für eine Handvoll Menschen, während andere verhungern. Wenn man die andere Seite sieht, wird einem schmerzlich bewusst, wie weit dieser Unterschied auseinanderklafft, wie unrealistisch und falsch sich das Ganze anfühlt.« Jemand hat einmal geschrieben, Patricia Kopatchinskaja spiele, wie sie spricht – man könnte es aber auch umdrehen.
Von Patricia zu PatKop
Bei so viel innerem Ausdrucksbedürfnis war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis Kopatchinskaja auch selbst mit dem Schreiben von Musik anfangen würde. Begonnen hat sie damit laut eigener Aussage bereits als Kind in ihrer Heimat; auch während ihres Musikstudiums stand das Fach Komposition auf dem Lehrplan. Doch so richtig Teil ihres künstlerischen Schaffens wurde das Komponieren erst in den vergangenen Jahren, als sie anfing, die Stücke auch tatsächlich vor Publikum aufzuführen. Heute sagt sie: »Ich kann mir nicht vorstellen, eine Musikerin zu sein, ohne auch selbst zu komponieren. Ob es gut oder schlecht ist, ist dann eine andere Frage. Aber man muss die Hände in diesem Teig drin haben, um zu verstehen, was es eigentlich ist. Man hat doch einen direkteren Draht zu den Stücken, die man spielt. Man hat weniger Ehrfurcht, man ist einfach glücklich.«
Wenn Kopatchinskaja als Komponistin in Erscheinung tritt, dann stets unter dem Pseudonym »PatKop« – um sich so von ihrer Rolle als Interpretin zumindest ein bisschen zu lösen. »Ich glaube, mein Geigenspiel wurde so oft kritisiert, dass ich schon immun dagegen bin. Ich kann es gut aushalten. Aber wenn ich jetzt auch noch als Komponistin zusammengeschlagen werde, würde ich das nicht mehr so gut aushalten. Deswegen muss ich eine andere Person werden, und da hinein investiere ich jetzt eine Riesenenergie. Es ist gut, verschiedene Persönlichkeiten in sich zu haben.«
Ein neues Projekt: »Playground«
Die beiden Persönlichkeiten der Patricia Kopatchinskaja kann man auch wieder in Hamburg erleben. Als PatKop schreibt sie zurzeit für den jungen österreichischen Pianisten Lukas Sternath ein neues Stück, das dieser Ende Januar beim »Rising Stars«-Festival in der Elbphilharmonie präsentiert. Eine Woche zuvor steht sie – als Patricia Kopatchinskaja – selbst mit Geige auf der Bühne. Gemeinsam mit dem Ensemble Resonanz hat sie das Programm »Playground« entworfen, bei dem sie sich mit Werken von Johann Sebastian Bach bis zu einem neuen Doppelkonzert des japanischen Komponisten Dai Fujikura »aufs Karussell« begibt, so der Untertitel. Auch ein eigenes PatKop-Werk soll dabei sein; welches, steht aber noch nicht fest.
Die Idee dahinter ist typisch Kopatchinskaja: »Mit ›Playground‹ suchen wir eine neue musikalische Form. Wir spielen nicht nur auf und mit unseren Instrumenten, sondern verstehen auch die Partituren als Spielzeug. Wir nehmen sie auseinander, setzen sie überraschend wieder zusammen, vertiefen uns in einzelne Takte und wollen im nächsten Moment alles gleichzeitig spielen. Wir lassen den Werkcharakter hinter uns und begeben uns an die Ufer des Flows.« Und ihr Resonanz-Kollege, der Bratschist Tim-Erik Winzer, ergänzt: »Wir sind wie Kinder, die auf der Bühne zu Hochform auflaufen.« Dass selbst bei so viel Neudenken und Andersmachen irgendwann die Gefahr einer gewissen Routine besteht, ist Kopatchinskaja bewusst. Deswegen arbeitet sie schon an den nächsten Plänen. »Ich möchte sehr gerne viel mehr inszenieren. Ich möchte an die Opernhäuser gehen, mit den Orchestern arbeiten, möchte die Orchester auf die Bühne stellen und auch visuell mit ihnen arbeiten, mit den technischen Möglichkeiten eines Opernhauses. Ich möchte auch Dirigieren lernen.« Der Spielplatz Bühne, so viel ist sicher, hält für Kopatchinskaja noch einige Felder bereit: »Ich hoffe, dass wir nie erwachsen werden. Wir müssen immer aus den Regeln ausbrechen.«
Dieser Artikel erschien im Elbphilharmonie Magazin (Ausgabe 1/2025)
- Elbphilharmonie Großer Saal
Ensemble Resonanz / Leila Josefowicz / Claire Chase
»playground« – Werke von Dai Fujikura, Johann Sebastian Bach und Felix Mendelssohn Bartholdy
Vergangenes Konzert