Georges Lentz

Neu gehört: Georges Lentz

Fragen an die Komponist:innen des Neue-Musik-Festivals »Elbphilharmonie Visions«.

Der Klang der Gegenwart im Großen Saal: Beim Festival »Elbphilharmonie Visions« steht ausschließlich zeitgenössische Musik auf dem Programm. Das ist nicht nur musikalisch spannend, sondern bietet auch die großartige Chance, den Komponist:innen Fragen zu ihren Werken und zum Komponieren selbst zu stellen. Wie funktioniert Komponieren überhaupt? Haben sie vorher schon eine konkrete Vorstellung von dem Werk oder entsteht es erst beim Schreiben? Was für eine Rolle spielt die Umgebung? Und was wünschen sie sich für ihre Musik?

Davon berichten die Komponist:innen des Festivals in Kurzinterviews – in dieser Ausgabe mit dem in Sydney lebenden Komponisten Georges Lentz, dessen »…To Beam in Distant Heavens…« bei »Elbphilharmonie Visions« zur Aufführung kommt. Mit dabei: Stargeigerin Arabella Steinbacher, die ihn zu diesem überirdisch schönen Violinkonzert inspirierte.

Arabella Steinbacher spielt »…To Beam in Distant Heavens…«

Was inspiriert Sie als Komponist? 

Mich inspiriert im weitesten Sinne, von meinem persönlichen Standpunkt aus Zeuge meiner Zeit zu sein. Es gibt unendlich viele künstlerische Sichtweisen auf eine so komplexe Zeit wie unsere. Mein Blick ist der eines im 21. Jahrhundert in Australien lebenden Europäers, der nach wie vor inspiriert und fasziniert ist von der hiesigen zeitgenössischen Kunst- und Musikszene, und doch merkt, dass er in seiner heutigen Umgebung am anderen Ende der Welt unmöglich die gleiche Musik schreiben kann, die er wohl schreiben würde, wäre er in Europa geblieben. Konkret inspiriert mich immer wieder die Weite und der Sternenhimmel in der australischen Wüste.
 

Welche Rolle spielt das Außermusikalische?

Das Außermusikalische spielt für mich seit jeher eine bedeutende Rolle. Ich denke, dass gerade heute, wo die allgemeine Musikbildung vielleicht nicht mehr ganz die ist, die sie einmal war, ein anspruchsvolles Musikstück, besonders ein längeres, viel eher aufmerksam nachvollzogen werden kann, wenn der Hörer über das rein Musikalische hinaus in der Musik eine wie auch immer geartete »Bedeutung« oder einen »Sinn« (große Wörter, ich weiß…), bzw. einen Bezug zum eigenen Leben entdecken kann. Selbstverständlich verstehe ich hierunter keine Lautmalerei, andererseits will ich auch keine Musik schreiben, bei der die Beziehung zwischen außermusikalischem Impuls und der Musik selbst nicht nachvollziehbar ist. Wichtig ist mir, auch in schwierigen Werken die (sehr zahlreichen) Menschen, die in der sogenannten Neuen Musik nicht zuhause sind, nicht links liegen zu lassen, sondern zu versuchen, auch ihnen irgendwie einen Zugang zu ermöglichen – nicht durch Anbiederung, sondern durch eine hoffentlich gestisch und emotional »kommunikative« Musik.

Bei meiner Musik könnte ein solcher Anknüpfungspunkt mit dem Publikum, etwa in meiner Liebe zum australischen Outback (und damit einhergehend vielleicht in einem Nachdenken über unsere menschliche Einsamkeit und Fragilität) bestehen. Auch mein Projekt der Cobar Sound Chapel, einer großen permanenten Klanginstallation in der australischen Wüste, ist Ausdruck meines Bedürfnisses, über das klassische Konzertformat hinaus in der Verbindung von Klangkunst, Architektur, bildender Kunst, Natur mich einem anderen, breiteren Publikum zu öffnen.
 

Ist Ihre innerliche Vorstellung von einem Werk schon ausgeprägt, ehe Sie sich daran machen, es zu komponieren?

Bis zu einem gewissen Punkt schon. Ich erlebe den ersten Impuls oft als Schock, als eine Art »Blitz«, der die nächtliche Landschaft meiner geistigen Trägheit kurz erleuchtet und mir einen recht konkreten Blick in das neue Stück erlaubt. Ich »sehe« die ungefähre Länge und Instrumentation des Werks, die ungefähren Proportionen, die Gefühlswelt, sehe die Interpret:innen zum Greifen nahe auf der Bühne sitzen. Danach allerdings können sich unendlich viele Dinge in eine andere Richtung entwickeln als ursprünglich gedacht. Das Werk entwickelt während der Arbeit dann meistens seinen ganz eigenen Willen, auch Zufälle können dabei zu unvorhergesehenen doch brauchbaren Ideen führen. Es entwickelt sich so ein dynamisches Hin und Her zwischen Initialplan und nachträglichen Auswucherungen, wobei die letzteren sich im Nachhinein oft als viel interessanter erweisen als der erste Funke. Da ich kein Vielschreiber bin, kann sich dieser Prozess über Jahre erstrecken. Über eine solche Zeitspanne bleibt dann oft vom ursprünglich Erahnten recht wenig übrig.
 

Wie würden Sie den Klang unserer Zeit beschreiben?

Es gibt für mich nicht den einen Klang unserer Zeit. Unsere Zeit zeichnet sich doch durch eine nie dagewesene Fülle, Überlagerung, auch Kakophonie von Klängen/Ästhetiken aus. Wichtig ist mir nur, die Ohren stets weit offen zu halten, auf alle Klänge zu hören und keinen voreilig als minderwertig oder unbrauchbar zu verwerfen. In letzter Zeit ist mir eine Auseinandersetzung mit K.I. wichtig geworden. Nicht in dem Sinne, dass ich K.I. direkt »verwende«, sondern dass ich mit ihr spiele, ihr mit einer Mischung aus Misstrauen und Faszination gegenüberstehe und mich auch in den bildenden Künsten auf dem Laufenden zu halten versuche. Ich horche dann in meine Imagination hinein und versuche, mir vorzustellen, wie eine zukünftige, wahrhaft kreative Musik-K.I. eventuell klingen könnte. So ahmt die K.I. nicht mich nach, sondern ich in meiner Vorstellung gewissermaßen sie. Dies ist auch in meinem Violinkonzert (allerdings nur indirekt) der Fall, vor allem aber in der Klangkunst von »String Quartet(s)« für die Cobar Sound Chapel. Berührungsängste sollte es jedenfalls keine geben.
 

Was braucht zeitgenössische Musik, um die Liebe des Publikums zu gewinnen? 

Seitens des Veranstalters Leidenschaft und Mut, diese Musik regelmäßig einzubinden – das  Festival »Elbphilharmonie Visions« ist hierfür ein Paradebeispiel. Vom Hörer Offenheit für Vielfalt ohne voreiliges Aburteilen. Vor allem vom Komponisten aber eine Musik die, wenn auch nicht immer einfach, das Publikum mit einbezieht und ihm Räume öffnet in »neue«, zumindest ungewohnte und persönliche Klangwelten.
 

Was möchten Sie dem Publikum über Ihr Werk mit auf den Weg ins Konzert geben?

Vielleicht nur den Gedanken, dass die Welt der Entstehung meines Werks wohl kaum verschiedener sein könnte von der der hiesigen Aufführung. 

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