Er ist einer der allergrößten Stars der Opern- und Konzertbühnen und gehört in Bayreuth längst zum Inventar: Klaus Florian Vogt. Der gefeierte Tenor hat sich weltweit als Wagner-Interpret einen Namen gemacht, begeistert aber auch als Liedsänger sowohl in intimen Liederabenden als auch mit fulminanten Aufführungen von großen Orchester-Zyklen wie Gustav Mahlers »Lied von der Erde«. In der Elbphilharmonie war er bereits mehrfach zu erleben: »Ich finde den Saal fantastisch. Er hat eine unglaubliche Atmosphäre und er klingt nicht von allein. Man muss etwas investieren, aber dann klingt es toll«, erklärt er im Abendblatt-Interview.
Dass er etwas investiert und wie toll es dann klingt, stellt der norddeutsche Tenor wieder einmal mit Liedern von Gustav Mahler unter Beweis. Begleitet vom Philharmonischen Staatsorchester – in dem er seine musikalische Bilderbuchkarriere vor vielen Jahren als Hornist begann – präsentiert er Lieder aus »Des Knaben Wunderhorn«.
Im letzten seiner drei Konzerte im Rahmen des digitalen Musikfestes präsentiert das Hamburger Orchester unter der Leitung von Kent Nagano außerdem Anton Weberns Bearbeitung von Franz Schuberts »Sechs deutschen Tänzen« sowie dessen Dritte Sinfonie.
Hinweis: Alle Konzerte des Internationalen Musikfests 2021 stehen als kostenlose Streams zur Verfügung und sind nach der Erstausstrahlung für den gesamten Festivalzeitraum abrufbar.
Besetzung
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Klaus Florian Vogt Tenor
Dirigent Kent Nagano
Programm
Franz Schubert
Sechs deutsche Tänze D 820 / Bearbeitung für Orchester von Anton Webern
Gustav Mahler
»Des Knaben Wunderhorn« (Auswahl)
Franz Schubert
Sinfonie Nr. 3 D-Dur D 200
Dauer: ca. 70 Minuten
Die Künstler
PHILHARMONISCHES STAATSORCHESTER HAMBURG

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Über das Orchester
Das Philharmonische Staatsorchester ist der dienstälteste Klangkörper der Stadt und ist dem Hamburger Publikum nicht nur durch sein umfassendes Konzertprogramm in der Elbphilharmonie, sondern auch aus jährlich rund 200 Opern- und Ballettvorstellungen in der Staatsoper Hamburg bekannt. Seit über 190 Jahren prägt das Orchester den Klang der Hansestadt. Gegründet als »Philharmonische Gesellschaft« wurde es im 19. Jahrhundert zum Treffpunkt bedeutender Musiker wie Johannes Brahms, Franz Liszt und Clara Schumann. Am Pult standen Künstlerpersönlichkeiten wie Piotr I. Tschaikowsky, Richard Strauss, Gustav Mahler und Igor Strawinsky.
Nachdem das Orchester 1908 mit einem Festkonzert die berühmte Hamburger Laeiszhalle eröffnete, wurde es im 20. Jahrhundert unter anderem von Wolfgang Sawallisch, Gerd Albrecht und Ingo Metzmacher geprägt. Im Sommer 2015 übernahm der erfolgreiche amerikanische Dirigent Kent Nagano das Amt des Chefdirigenten des Philharmonischen Staatsorchesters und gleichzeitig des Hamburgischen Generalmusikdirektors. Neben der Fortführung der traditionellen Philharmonischen Konzerte initiierte er mit der »Philharmonischen Akademie« eine neue und experimentierfreudige Konzertreihe, die vom ebenfalls neuen Format »Musik und Wissenschaft« ergänzt wird – eine Kooperation mit der Max-Planck-Gesellschaft.
Neben ihren Diensten in der Oper und der Elbphilharmonie widmen sich die Musikerinnen und Musiker des Orchesters auch der Musikvermittlung und begeistern ihr junges Publikum mit Kindergarten- und Schulbesuchen, Kindereinführungen und Familienkonzerten.
Kent Nagano – Dirigent

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Über Kent Nagano
Als »unaufdringlichen Star unter den Dirigenten« betitelte ihn »Die Zeit«: Kent Nagano gehört zu den herausragenden Persönlichkeiten der internationalen Musikszene. Der gebürtige Kalifornier mit japanischen Wurzeln hat sich insbesondere als Experte für die großen Orchesterwerke des 20. Jahrhunderts einen Namen gemacht. Seit 2015 ist er Hamburgischer Generalmusikdirektor und Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters – zwei Ämter, in denen er einmal mehr unter Beweis stellt, dass er nicht nur auf die großen Konzertbühnen gehört, sondern auch ein hervorragender Operndirigent ist. Mit seinem visionären Verständnis von Klang hat der mehrfache Grammy-Gewinner die ohnehin schon große stilistische Breite des Hamburger Orchesters nochmals erweitert.
Als Ehrendirigent ist Kent Nagano gleich mehreren renommierten Orchestern verbunden, darunter das Concerto Köln, das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin und seit Frühling 2021 auch das Orchestre symphonique de Montréal, dessen Leitung er über 14 Jahre lang innehatte. Während dieser Jahre war er zudem Chefdirigent beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin sowie anschließend von 2006 bis 2013 Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper. Höhepunkte der vergangenen Saisons in Hamburg waren Aufführungen von Alban Bergs »Lulu« und George Benjamins »Lessons in Love and Violence« sowie einige viel beachtete Uraufführungen wie Toshio Hosokawas Oper »Stilles Meer« und Jörg Widmanns Oratorium »Arche« anlässlich der Eröffnungsfeierlichkeiten der Elbphilharmonie im Januar 2017.
Klaus Florian Vogt – Tenor

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Über Klaus Florian Vogt
Heute ist er ein Star auf den größten Opern- und Konzertbühnen der Welt, angefangen hat seine musikalische Karriere als Hornist im Orchestergraben der Hamburgischen Staatsoper. Der unglaubliche Werdegang von Klaus Florian Vogt begann also beim Philharmonischen Staatsorchester Hamburg, mit dem er bis heute regelmäßig zu erleben ist. Nach seinem Gesangsstudium in den frühen 1990er Jahren gelang dem Tenor ein Senkrechtstart in die Opernszene und er wurde bereits nach einigen Jahren Ensemblemitglied an der Semperoper Dresden. Seit 2003 ist er freischaffend tätig und gehört weltweit zu den gefragtesten Tenören. Auf großen Opernbühnen wie denen in Wien, Mailand, London, New York und Tokio ist er ebenso zu Hause wie bei bedeutenden Opernfestspielen wie denen in Bayreuth und Salzburg.
Sein triumphales Debüt bei den Bayreuther Festspielen gab er schon 2007 als Walther von Stolzing in einer Neuproduktion von Wagners »Die Meistersinger von Nürnberg«. Seitdem ist er vom berühmten Festspielhügel nicht mehr wegzudenken und erntet Lobeshymnen für seine Interpretationen verschiedener Wagner-Partien.
Auch als Konzert- und Liedsänger hat sich der norddeutsche Tenor einen Namen gemacht. Auftritte führen ihn durch ganz Europa sowie nach Amerika und Asien. Sein Repertoire umfasst unter anderem Werke von Mozart, Beethoven, Mahler, Verdi und natürlich Wagner. Einen großen Erfolg verbuchte er 2019 mit der Erstaufführung einer kammermusikalischen Fassung von Franz Schuberts »Die schöne Müllerin« hier in der Elbphilharmonie. Auf dem Konzertpodium arbeitet der vielfach ausgezeichnete Tenor mit den renommiertesten Orchestern der Welt zusammen, darunter das Gewandhausorchester Leipzig,das Concertgebouworkest Amsterdam und die Münchner Philharmoniker.
Zur Musik
Experimentelle Miniaturen :Schuberts »Sechs deutsche Tänze« / Bearbeitung für Orchester von Anton Webern
Es war eine kleine Sensation: 1931 tauchte im Wiener Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde ein Bündel Noten auf. Inhalt: sechs »Deutsche Tänze« für Klavier von Franz Schubert, der zu diesem Zeitpunkt schon seit über 100 Jahren verstorben war.
In Franz Schuberts Werk dominieren vor allem zwei Gattungen: Lieder und kleinere Klavierstücke wie Tänze. Letztere schrieb er vor allem für Hausbälle, an denen er in Wien musizierte, außerdem spielte er sie Freunden in seinen als »Schubertiaden« in die Geschichte eingegangenen Privatkonzerten vor. Über 500 Tänze entstanden auf diese Weise: kleine Miniaturen von 1-2 Minuten Spieldauer, meist kaum 16 Takte lang. Häufig nutzte Schubert dieses Format, obwohl er es eigentlich als Gebrauchs- und Unterhaltungsmusik konzipierte, für musikalische Experimente.
Auch die sechs Deutschen Tänze, die er 1824 komponierte, sind schlicht und allesamt im Dreivierteltakt. Dennoch gibt es kleine Raffinessen: originelle Melodiewendungen, überraschende Harmonien und Spieltechniken – aber nur so weit, wie es Eleganz und Tanzbarkeit erlaubten.
Noch im Jahr ihrer Entdeckung wurden Schuberts Deutsche Tänze uraufgeführt. Außerdem beauftragte man den Komponisten Anton Webern, eine Orchesterversion zu erstellen. Webern war ein begnadeter Arrangeur. Als Vorreiter der Moderne verzichtete er in seiner eigenen Musik weitgehend auf traditionelle Klänge.

Doch sein Markenzeichen als Komponist, Musik radikal zu verdichten, auf engstem Raum den größtmöglichen Ausdruck zu erwirken, erweist sich in Schuberts Miniaturtänzen als Glücksgriff: Mit seiner Instrumentation für Orchester habe er den »Gedanken und Zusammenhang« des Stückes verdeutlichen wollen, so der Komponist. Heraus kam schließlich eine Version für kleines Orchester, Holzbläser und zwei Hörner – auf Blechbläser verzichtete Webern zugunsten eines wärmeren Klangs. Allerdings war Webern peinlich darauf bedacht, den Tonfall und Charakter der Schubert’schen Tänze möglichst treu zu bleiben, sogar zu verstärken. So teilte er Stimmen unter den Instrumenten auf Stimmteilungen und solistische Hervorhebungen – die Hauptsache: Schuberts Tonfall wahren. Webern war zufrieden: »Es sieht aus wie eine klassische Partitur und doch wieder wie eine von mir.«
Text: Laura Etspueler
»Alles fand er darin« :Mahlers »Des Knaben Wunderhorn«
Als Gustav Mahler auf die von Achim von Arnim und Clemens Brentano zusammengetragene Gedichtesammlung »Des Knaben Wunderhorn« stieß, war das für ihn wie Weihnachten und Geburtstag zusammen. Sein enger Wegbegleiter, der Komponist und Dirigent Bruno Walter, beschreibt diese bedeutende Entdeckung: »Alles fand er darin, was seine Seele bewegte, und fand es ebenso dargestellt, wie er es fühlte: Natur, Frömmigkeit, Sehnsucht, Liebe, Abschied, Tod, Geisterwesen, Landknechtsart, Jugendfrohsinn, Kinderscherz, krauser Humor. All das lebte in ihm wie in den Dichtungen, und so strömten seine Lieder hervor.«
Den zwölf Orchesterliedern aus den 1890er Jahren, die man heute gemeinhin als Mahlers »Des Knaben Wunderhorn« bezeichnet, gingen einige Jahre zuvor bereits neun Klavierlieder zu weiteren Texten der über 700 Gedichte umfassenden Zusammenstellung deutscher Volkspoesie voraus. Über zwölf Jahre begleitete den Komponisten die Sammlung als fortwährende Inspirationsquelle. Einige seiner »Wunderhorn«-Lieder arbeitete er sogar um und bettet sie in seine Sinfonien ein. Nicht umsonst werden die ersten vier Sinfonien des Romantikers auch als »Wunderhorn«-Sinfonien bezeichnet. Der Musikwissenschaftler Peter Revers ging sogar so weit, Mahlers Liedschaffen als »den genetischen Code seines Komponierens« zu bezeichnen.

In den »Wunderhorn«-Liedern liegt dieser »genetische Code« vor allem in der Nähe von Sprache und Musik, genau genommen in der Sprachähnlichkeit der Musik. Stimme und Instrument, Wort und Klang fließen untrennbar ineinander: »Mit der Musik«, meinte Mahler »kann man schließlich viel mehr ausdrücken als Worte unmittelbar sagen.« Was er in seinen zwölf »Wunderhorn«-Liedern ausdrückt, ist nicht weniger als das ganze Spektrum des Menschseins an sich.
Während es in »Verlorne Müh’« um ein erfolgloses Werben und die unerfüllte Liebe eines jungen Mädchens geht, reflektiert das »Rheinlegendchen« Wirrungen des Schicksals. »Wer hat dies Liedel erdacht« ist ein leidenschaftliches Liebeslied, im »Lied des Verfolgten im Turm« hingegen wird die Freiheit gepriesen und »Das irdische Leben« thematisiert menschliches Leid wie Hunger und Tod. In »Wo die schönen Trompeten blasen« verabschiedet sich ein Soldat von seiner Liebsten und zieht danach in den Krieg. Hierfür stellt Mahler die Stimmung eines innigen Liebesliedes und den Gestus von Militärmusik nebeneinander.
»Jedes dieser Lieder ist eine eigene kleine Geschichte und enthält eine eigene Weisheit.«
Klaus Florian Vogt
Text: Julika von Werder
Unbeschwerter Schubert :Franz Schuberts Dritte Sinfonie
»Die Zeit, so zahllos und so Schönes sie gebiert, einen Schubert bringt sie so bald nicht wieder!«
Robert Schumann
Erst seinen großen Verehrern Robert Schumann und Felix Mendelssohn Bartholdy hat Franz Schubert es zu verdanken, dass seine Orchesterwerke lange nach seinem Tod die Öffentlichkeit und die Anerkennung bekamen, die sie verdienten. Zu Lebzeiten wurde keine seiner sieben vollendeten Sinfonien öffentlich aufgeführt. Denn der junge Komponist gehörte in Wien nie der privilegierten Schicht an, in die Beethoven Einzug gefunden hatte, sodass er seine Werke nicht in den großen Salons des einflussreichen Adels präsentieren konnte. Stattdessen war er meistens nur in kleinen privaten Runden mit Freunden zu finden – kein geeigneter Ausgangspunkt für die Aufführung großer orchestraler Werke. So wurde auch die Dritte Sinfonie, die Schubert kurz nach seinem 18. Geburtstag komponierte, zunächst nur im kleinen Kreis aufgeführt. Zum ersten Mal erklang sie in der Wohnung des Wiener Kaufmanns Franz Frischling, wo sich einmal die Woche Berufsmusiker und Amateure zum gemeinsamen Musizieren trafen. Die Wiener Öffentlichkeit bekam von solchen ungezwungenen musikalischen Treffen nichts mit.

Häufig standen Schuberts frühe Sinfonien zudem unter dem Verdacht, sich zu sehr am klassischen Modell seiner Vorgänger Mozart und Haydn abzuarbeiten, sodass sie im Schatten von Beethovens progressiven Sinfonien-Schaffen zu stehen schienen. Tatsächlich ging Schubert mit dem überlieferten Modell weniger frei um als der späte Beethoven, was allerdings noch lange nicht heißt, dass seine Musik in diesem Sinne altmodisch oder überholt war.
Auch in seiner Dritten Sinfonie, die wie die Erste in D-Dur steht, kommt der junge Komponist zu individuellen Lösungen, das Sinfonie-Modell weiterzuentwickeln. Die motivische Verbindung zwischen dem schnellen ersten Satz und dessen langsamer Einleitung ist beispiellos in den Vorlagen Schuberts Vorgänger. Ebenfalls untypisch ist das volksliedhafte Allegretto des zweiten Satzes, an dessen Stelle traditionell ein langsamer Satz zu erwarten gewesen wäre. Im häufig als wienerisch bezeichneten dritten Satz stellt Schubert den bekannten Dreiertakt des Menuetts auf den Kopf, in dem er die Betonungen innerhalb des Taktes verschiebt. Das Finale schließlich ist eine feurige Tarantella, die Schuberts zeitweilige Affinität zur spritzigen Musik seiner italienischen Kollegen verrät.
Dieser Energie und Humor versprühende letzte Satz erweist sich als würdiger Abschluss für den insgesamt lebenslustigen und unbeschwerten Charakter der Sinfonie. »Wer die Musik liebt, kann nie ganz unglücklich werden«, versprach der gern auch mal grübelnde Schubert.
Text: Julika von Werder
Gefördert durch die Kühne-Stiftung, die Behörde für Kultur und Medien Hamburg, die Stiftung Elbphilharmonie und den Förderkreis Internationales Musikfest Hamburg
Stand: 26. Mai 2021