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Elbphilharmonie Talk mit Branford Marsalis

Der legendäre Saxofonist und Komponist über Egoismus im Modern Jazz und seine Zeit mit Sting.

Der Saxofonist und Komponist Branford Marsalis ist schon seit Jahrzehnten eine feste Größe im Jazz. Er ist der älteste Spross der Marsalis Dynastie aus New Orleans, zu der auch die Brüder Wynton (Trompete), Delfeayo (Posaune) und Jason (Schlagzeug) gehören. Marsalis ist kein Jazzpurist. Er hat mit Popstars wie Sting und Tina Turner zusammengearbeitet, er liebt die europäische Klassik und betont immer wieder: »Nur virtuos zu spielen verfehlt den Kern der Musik.« Die Kraft der Musik liege vielmehr in Melodien, die das Publikum nach einem Konzert mit nach Hause nehmen kann. Im Elbphilharmonie Talk spricht Branford Marsalis auch über Egoismus im Jazz, über ungarische Musik und unterschiedliche Hörgewohnheiten. Und darüber, was ihm persönlich beim Spielen wichtig ist.

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Eine ungewöhnlich frühe Verabredung zum Gespräch sei das, beginnt Tom R. Schulz die Unterhaltung mit dem Saxofonisten. 10 Uhr! Dabei wäre Branford Marsalis auch schon 9 Uhr morgens fit gewesen: »Wenn ich nach dem Konzert früh ins Bett gehe, dann stehe ich oft um 4 oder 5 Uhr wieder auf.«

Marsalis kam gerade aus Budapest, wo er und seine Band mit ungarischen Musikerinnen und Musikern zusammengespielt hatten. Ursprünglich wollte er dafür die Melodien ungarischer Volkslieder mit neuen Akkorden versehen, wie das im Jazz traditionellerweise geschieht. Doch beim Hören habe er schnell gemerkt, dass die existierenden Akkorde schon perfekt waren, da sie genau die richtige emotionale Wirkung bei den Zuhörern hervorrufen.

»Wir Jazzmusiker sind schon eine schräge Truppe. Wir wissen so viel über Harmonien, aber so wenig über Jazz!«

Branford Marsalis


Deshalb reicherte Marsalis die Musik mit seiner Band nur durch einen Jazzteil zu Beginn an. Die Jazzelemente klangen zunächst fremd für das Publikum, lösten sich dann aber in die traditionellen, wohlbekannten Melodien auf. »Ich habe mich solistisch weitgehend zurückgehalten, wofür man mir Bescheidenheit attestierte. Ich freue mich da natürlich drüber, aber ich glaube, dem viel hinzuzufügen hätte da gar nicht gepasst. Genau das wäre der Egoismus gewesen, zu dem man im modernen Jazz gern mal neigt. Er ist aber der Musik nicht dienlich. Die Ungarn haben ihre Musik einfach besser gespielt als ich, sie kennen sie besser.«

Andere Musiktraditionen

Vor einiger Zeit habe er rumänische Volksmusik gehört, die Natürlichkeit dieser Musik habe ihn fasziniert. Branford Marsalis führt diese Natürlichkeit darauf zurück, dass die Musik dort überall präsent ist. Das Spielen entstehe dabei fast von selbst. Davon habe er sich auch etwas abgeschaut, so Marsalis: »Oft versteht man Musik erst, wenn man sie so oft hört, dass sie plötzlich ganz natürlich zu einem findet.«

Strawinsky habe wiederholt gesagt, dass man seine Musik mit »anderen Ohren« hören müsse, um sie zu verstehen. »Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr verstehe ich, was er damit meinte. Wir wachsen alle mit gewissen Konventionen auf, was unser Musikverständnis und damit auch unser Hören betrifft. Der Viervierteltakt zum Beispiel ist die Basis, auf der ich Musik gelernt habe. Wir werden diese Konventionen zwar nie wirklich ablegen können, aber wir können sie anreichern, in dem wir andere, für uns vielleicht ungewohnte Musik und Rhythmen hören und damit unser eigenes Verständnis erweitern.«
 

»Die Kraft der Musik liegt darin, Gefühle in den Zuhörerinnen und Zuhörern zu wecken. Das ist das Wichtigste beim Musizieren und letztlich auch das, womit das Publikum am Ende nach Hause geht. Die Reaktion sollte nicht sein: Wow, diese Leute spielen aber komplizierte Stücke!«

Branford Marsalis


Ihm kommt es nicht allein auf Virtuosität oder Komplexität an. Vielmehr will er mit seiner Musik eine Emotion oder eine Farbe hervorrufen. »Strawinsky ist deshalb auch so wichtig für mich. Egal, wie kompliziert seine Musik ist, es gibt immer eine Melodie, einen Part, den man mitsingen kann. In zeitgenössischer Musik hast du das nicht oft. Das kann für das Publikum frustrierend sein.«

Endlich wieder auf Tournee

Wie es sich anfühlt, nach einer so langen, Corona-bedingten Pause wieder auf Tournee zu sein? Das Reisen habe er weniger vermisst als das Musizieren, sagt Branford Marsalis. »Vor allem die Musikerinnen und Musiker aus meinem Quartett haben mir gefehlt. Wir haben uns ab und zu per Videocall getroffen. Die Coronazeit war aber auch die längste Zeit, die ich mit meinen Kindern je am Stück zusammen verbracht habe. Das war toll. Sie haben mich ganz anders kennengelernt als immer nur als den Vater, der abends zum Konzert muss oder eben auf Tour. Außerdem habe ich eine Liste mit den schwierigsten Stücken abgearbeitet, die ich schon immer mal spielen wollte.« Er hatte auch viel Zeit zum Nachdenken – über sich selbst und darüber, wer er sein wolle. »Insgesamt hat mir die Coronazeit trotz allem viel Gutes gebracht.« Für Musikerinnen und Musiker sei die Zeit schwer gewesen, bemerkt Marsalis, doch für andere Berufsgruppen genauso. Im Übrigen sehe er sich zuerst als Mensch. Und erst dann als Musiker.

Proben? Nein, danke!

Proben findet Marsalis überbewertet: »Ich strebe in meiner Musik nach dem Klang der Freiheit, nicht nach Kontrolle.« Klar, wenn die Band neu sei, müsse man sich schon einspielen. Aber Repetition in Proben vermeidet er, um im Konzert möglichst frei zu sein.

»Alles ist möglich – mit diesem Gefühl möchte ich auf die Bühne gehen. Die Songs sollen atmen und von Abend zu Abend variieren können. Deswegen haben wir auch keine Setlist. Die Auswahl der Stücke entsteht im Laufe des Abends.« Marsalis entscheidet spontan, was zur Stimmung im Publikum, zum Raum und zur Akustik passt.

Branford Marsalis Quartet
Das Branford Marsalis Quartet in der Elbphilharmonie © Claudia Höhne

Dieser Maxime folgt Branford Marsalis selbst bei Solokonzerten. Selbstkritisch ist er, aber Perfektion interessiert ihn nicht. Auch im Solokonzert steht für ihn die spontane Interaktion im Mittelpunkt – mit den eigenen Emotionen, mit dem Raum und mit dem Publikum.

Zum Schluss erinnert Schulz an Branfords Karrieredurchbruch mit Sting. Kennt man sich noch? »Der Kontakt hat sich nie verloren«, sagt Marsalis. Erst kürzlich habe er erneut mit Sting zusammengearbeitet. Sogar Branfords Kinder, die ihn immer ein bisschen mit Sting aufgezogen hätten, haben ihn inzwischen persönlich kennengelernt. »Mann, der ist ja cool!« hätten sie befunden. »Das war er schon immer«, sei seine Antwort gewesen, lacht Marsalis.

Das Interview führte Tom R. Schulz.
Text: Anastasia Päßler

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