»Klassik und Jazz sind für mich keine getrennten Dinge. Sie stehen beide unter einem Schirm namens Musik.« So offen lebt der finnische Pianist Iiro Rantala sein künstlerisches Credo. Tatsächlich hat er beide Stilrichtungen studiert, ist hier wie dort erfolgreich – und vereint sie in seinen Konzerten.
Mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen hat er einen höchst flexiblen und experimentierfreudigen Partner gefunden, der in Hamburg längst zu Hause ist. Gemeinsam haben sie schon vielfach mit Mozart begeistert, und auch diesmal steht eines seiner Klavierkonzerte auf dem Programm. Umrahmt wird es von der leichtfüßig zwischen den Stilen wechselnden Sinfonietta Francis Poulencs und einem humorvoll arrangierten »Best of Beethoven«-Medley, mit dem Rantala seinem Ruf als Musiker ohne Grenzen alle Ehre macht. Am Pult steht der finnische Geiger und Dirigent Jaakko Kuusisto, der sein Debüt in der Elbphilharmonie gibt.
Teaser »Best of Beethoven«
»Ich würde gern jene Grenze weiter einreißen, die Jazz und Klassik nach wie vor trennt.«
Iiro Rantala
Besetzung
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Iiro Rantala Klavier
Violine und Dirigent Jaakko Kuusisto
Programm
Francis Poulenc (1899–1963)
Sinfonietta FP 141 (1948)
Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)
Konzert für Klavier und Orchester A-Dur KV 488 (1786)
Iiro Rantala (*1970)
Best of Beethoven / Bearbeitung: Iiro Rantala, Jaakko Kuusisto (2019)
Konzerteinführung :mit Anja Manthey
Zum Programm
Mönch und Lausbub :Francis Poulenc: Sinfonietta
»Analysieren Sie meine Musik nicht – lieben Sie sie!« Dieser Ausspruch des französischen Komponisten Francis Poulenc steht sinnbildlich für seinen direkten, stets unverblümten Zugang zur Musik. 1899 geboren, ein Pariser Lebemann durch und durch, gilt Poulenc heute als einer der wichtigsten französischen Komponisten des 20. Jahrhunderts.
Rückblickend könnte man sagen: Poulencs Musik kam zur rechten Zeit, denn in den 1920er Jahren rumorte es in der Pariser Kunst- und Kulturszene. Viele empfanden die gegenwärtige klassische Musik als erdrückend und realitätsfern. Die metaphysisch aufgeladenen Opern Richard Wagners lehnten sie ebenso ab wie die vieldeutigen Klangwolken Claude Debussys. Schlichtheit und Bodenständigkeit waren die Zauberwörter der Stunde.

So formierte sich im Umfeld des Dichters Jean Cocteau eine lose Gruppe von Komponisten, der neben Eric Satie, Arthur Honegger und Darius Milhaud auch Francis Poulenc angehörte: die Groupe des Six. Alltagsnah und verständlich solle Musik sein, so lautete ihr Credo; in ihren Werken provozierten sie mit Versatzstücken aus Jazz, Varieté- und Zirkusmusik.
Auf diesem Nährboden fand Poulenc zu seinem Stil. Viele seiner Stücke sind überraschend kurz, tänzerisch und eingängig. Komplizierte Techniken verwendete Poulenc höchstens, um sich über sie lustig zu machen – Ironie und schräge Momente gibt es in seiner Musik zuhauf. Mit Vorliebe imitierte der Komponist etwa Stile aus vergangenen Jahrhunderten.

Ein Paradebeispiel dafür hat Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen auf ihr Konzertprogramm gesetzt: die Sinfonietta. Ihre Entstehungsgeschichte ist bezeichnend für Poulencs Abneigung gegen alles Monumentale, Vergeistigte. Wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs bestellte die BBC bei ihm ein »sinfonisches Werk«. Der Komponist lieferte keine Sinfonie – galt diese Gattung doch spätestens seit Beethoven als komplexeste, gewichtigste aller Formen –, sondern eine »Sinfonietta«. Wie ihre große Schwester besteht sie aus vier Sätzen. Doch statt die Teile musikalisch zu einem Ganzen zu verknüpfen, wirft Poulenc immer neue Ideen und Stile in den Ring.
»In Poulenc wohnen zwei Seelen, die eines Mönchs und die eines Lausbuben.«
Claude Rostand
Gleich im ersten Satz jagt eine lyrische Melodie die nächste, Tempowechsel inklusive – auf dicken romantischen Orchestersound wollte Poulenc offenbar doch nicht ganz verzichten (Piotr Tschaikowsky lässt grüßen). Von barocken Tänzen inspiriert ist der zweite Satz, der einen zackigen 6/8-Takt mit modernen Harmonien kombiniert. Zart schmilzt das Adagio dahin, bevor sich das Finale an einem wilden Stilmix berauscht: Unter braven Tanzmelodien, wie sie im 18. Jahrhundert üblich waren, rumpeln Rhythmen à la Igor Strawinsky, gezupfte Bässe und Blechbläser-Einwürfe, die geradewegs aus dem Varieté stammen könnten. In Poulenc stecke sowohl ein Mönch als auch ein Lausbub, stellte der zeitgenössische Musikkritiker Claude Rostand fest. In der Sinfonietta hört man, wie richtig er damit lag.
Text: Laura Etspüler
GIPFELKUNST :Wolfgang Amadeus Mozart: Klavierkonzert A-Dur KV 488
1786 – was für ein Jahr! In Berlin wird Schloss Bellevue fertiggestellt und Friedrich der Große stirbt, Carl Maria von Weber erblickt das Licht der Welt, der erste mechanische Webstuhl wird erfunden und zwei Franzosen besteigen als Erste den höchsten Berg Europas, den Mont Blanc. Ein anderer erklimmt in diesem Jahr den Gipfel seiner Karriere: Wolfgang Amadeus Mozart.

Einige Jahre zuvor mit dem legendären »Arschtritt« aus den Diensten des Erzbischofs Colloredo von Salzburg entlassen, führt Mozart in Wien das Bohème-Leben eines freischaffenden Künstlers: Er gibt Klavierunterricht, spielt Konzerte und komponiert wie ein Wilder, um der Nachfrage nach seinen Werken hinterherzukommen. In den Frühjahrswochen veranstaltet Mozart Abonnementkonzerte und Akademien, die von wohlhabenden und angesehenen Zuhörern besucht werden und ein fulminanter künstlerischer und finanzieller Erfolg sind. Er verdient in diesen goldenen Jahren so viel Geld, dass er sich eine große Wohnung, eine Kutsche samt Pferd, Musikinstrumente und sogar einen Billardtisch leisten kann.
Die Erfolge beflügeln Mozart: Im Frühjahr 1786 führt er nicht nur seine Oper »Le nozze di Figaro« in Wien zum ersten Mal auf, nein, der Meister schüttelt binnen eines Monats auch noch zwei Klavierkonzerte aus dem Ärmel – darunter das Konzert in A-Dur.
»Sein Spiel am Klavier vergesse ich mein Lebtag nicht; das ging ans Herz.«
Joseph Haydn über Wolfgang Amadeus Mozart
Als ehemaliges Wunderkind und Virtuose ist Mozart mit seinem Instrument, dem Klavier, fest verwachsen. Seine 23 Klavierkonzerte gelten vielen als »Gipfel seines instrumentalen Schaffens« (Alfred Einstein). Besonders das A-Dur-Klavierkonzert gehört zu den meistgespielten Solokonzerten, wenn nicht zu Mozarts beliebtesten Werke überhaupt. Seine besondere Qualität liegt in der Spannung zwischen Unterhaltung und Ausdruck – quasi ein Abbild des Komponisten, der selbst zwischen ausgelassener Heiterkeit und tiefer Schwermut schwankt.

»Das Adagio: einer der rührendsten und traurigsten Sätze, die Mozart je geschrieben hat.«
Poetisch und leicht fließt das Konzert dahin. Dies wird schon im ersten Satz deutlich, wenn sich das heitere erste und das lyrische zweite Thema im Mittelteil verbinden. Dass der zweite Satz wirklich gravitätisch und langsam gespielt werden soll, verrät die Bezeichnung »Adagio« – eine Ausnahme unter Mozarts Mittelsätzen, in denen er oft flottere Tempi wie »Andante«, »Allegretto« oder »Larghetto« einfordert. So zählt dieses Adagio auch zu den rührendsten und traurigsten Sätzen, die Mozart je geschrieben hat. Im wiegenden Siciliano-Rhythmus wird eine schmerzlich-resignative Melodie von Klavier und Orchester verarbeitet – ein starker Kontrapunkt zum munteren Kopfsatz. Das finale Rondo setzt dagegen übermütig ein. Optimistisch-fröhlich das Hauptthema, virtuose Spielfreude, fantasievolle Effekte – ein dritter Satz wie das Finale einer komischen Oper.
Text: Elisabeth Reda
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Übrigens ...
Das Werk gehört zu den drei einzigen Klavierkonzerten, in denen Mozart seine geliebten Klarinetten einsetzt. Das Instrument befindet sich damals noch im Entwicklungsstadium, was Mozart mit großem Interesse verfolgt, zumal er gut mit Anton Stadler befreundet ist, dem herausragenden Klarinettisten seiner Zeit. Überhaupt weist er den Holzbläsern stets eine individuelle Rolle neben Orchester und Klavier zu.
Best of Beethoven :Arr. Jaakko Kuusisto / Iiro Rantala
Die Affinität zur Klassik macht sich nicht nur beim Interpreten, sondern auch beim Komponisten Iiro Rantala bemerkbar. Hört man seine Jazz-Kompositionen, stößt man auf ein großes, sich über mehrere Jahrhunderte Musikgeschichte ausdehnendes Bezugsfeld, in dem die rastlose Motorik von Bachs Klavierwerken ebenso anklingt wie die Verspieltheit, mit der sich Haydn und Mozart die musikalischen Konventionen ihrer Zeit gefügig machten.
Und auch Rantalas eigenes Werk in diesem Konzertprogramm spiegelt sein umfassendes Musikverständnis und seine Begabung, leichtfüßig quer durch die Epochen zu wandeln: »Best of Beethoven« vereint in Form eines Medleys mehr als zehn bekannte Melodien aus Klaviersonaten, -konzerten und Sinfonien, beginnend beim Klavierkonzert Nr. 5 und endend mit – naja, Sie werden es schon erkennen.

»Diese ›Greatest Hits‹ von Beethoven zeigen auch die humorvolle Seite des Komponisten«, erklärt Rantala schelmisch, »hoffe ich jedenfalls.« Das gut gelaunte Geburtstagsständchen zu Beethovens 250. Geburtstag, der 2020 gefeiert wurde, erklang erstmals Anfang 2020 bei einem Privatkonzert des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue.
Text: Stephan Schwarz-Peters
Stand: 1.4.2021