Nun ist es 35 Jahre her, dass Cecilia Bartoli ihr Operndebüt gab, als Rosina in Rossinis »Barbier von Sevilla« in ihrer Heimatstadt Rom, wo sie 1966 als Tochter zweier Opernsänger geboren wurde. Vermutlich hat damals niemand geahnt, dass dieser Wirbelwind von einer Sängerin die Welt der Klassik nachhaltig verändern sollte. Rossini ist sie seitdem treu geblieben; dank ihrer phänomenalen Koloraturgeläufigkeit führte sie die von Sängerinnen wie Marilyn Horne und Teresa Berganza angestoßene Rossini-Renaissance mit Nachdruck fort. Und obwohl man sich schon ziemlich darüber wundern kann, dass Bartoli bis 2022 noch nie an der Wiener Staatsoper zu hören war: Als sie im Sommer desselben Jahres ihr spätes Debüt im Haus am Ring gab, war dies natürlich mit Rossini, als Fiorilla in »Il turco in Italia«.
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Ebenso legendär wie die schier unbegrenzten Möglichkeiten ihrer Zweieinhalb-Oktaven-Stimme ist das spielfreudige Temperament der Mezzosopranistin – gepaart mit einem exquisiten komödiantischen Talent, das ihr den Beinamen »La Gioia« einbrachte. Auch viele ihrer Aufnahmen sind längst ikonisch. Bahnbrechend etwa »The Vivaldi Album« von 1999, mit dem Bartoli den als Opernkomponisten bis dahin nahezu unbekannten Vivaldi schlagartig ins helle Rampenlicht rückte – und damit bis heute Generationen junger Sängerinnen beeinflusst, darunter etwa Julia Lezhneva, die das Album einmal als eine der prägendsten Erfahrungen auf dem Weg zu ihrer eigenen Sängerkarriere bezeichnete. Seit diesem Vivaldi-Paukenschlag folgten in schöner Regelmäßigkeit weitere thematisch stringent gefasste Projekte der Musikforscherin Bartoli, unter anderem zu den italienischen Werken von Gluck oder denen der Neapolitanischen Schule.
Überraschend war aber nicht nur der Inhalt dieser Aufnahmen, sondern auch das Marketing drum herum, mit dem die Vermarktung klassischer Musik in neue Dimensionen vorstieß. Mal räkelte sich die Sängerin auf dem Cover wie einst Anita Ekberg im Fontana di Trevi (»Opera prohibita«), mal schockierte sie mit Glatze (»Mission«); für ihr aktuelles Farinelli-Album ließ sie sich – ein bisschen wie Conchita Wurst – mit Bart ablichten; und für ihre Hommage an die historische Kollegin Maria Malibran tourte Bartoli monatelange mit einem Bus durch Europa, der zu einem mobilen Museum für diese erste Diva der Operngeschichte ausgebaut war.
In den letzten Jahren hat sich die Sängerin zusätzlich noch einen Namen als versierte und erfolgreiche Musikmanagerin gemacht. Bei den Salzburger Pfingstfestspielen zum Beispiel, deren Intendantin sie seit 2012 ist. Ähnlich wie auf ihren Konzeptalben setzt sie auch hier kluge dramaturgische Schwerpunkte. Anscheinend ist das singende Energiebündel damit aber immer noch nicht ausgelastet, denn im Januar 2023 trat sie in Monte-Carlo eine neue Stelle an, als Intendantin des dortigen Opernhauses.
Vielbeschäftigte Sängerin, Intendantin in Salzburg und Monte-Carlo – hat Ihr Tag mehr als 24 Stunden?
Cecilia Bartoli: Es gibt tatsächlich Tage in meinem Leben, die ziemlich voll sind. Aber ich betrachte meine Tätigkeiten nicht als Arbeit, sondern als Erfüllung meiner Leidenschaft. Im Übrigen achte ich seit vielen Jahren in anderen Bereichen auf Entschleunigung, zum Beispiel beim Reisen. Ich fahre meist mit der Bahn und selten nach Übersee, wohin ich dann das Schiff bevorzuge.
Was ist Ihr Antrieb für diese Leidenschaft?
Als Künstlerin haben mich immer schon meine Neugierde und Begeisterung gesteuert. So sind auch meine CD-Projekte entstanden: Wenn mich ein Komponist oder eine Sängerin faszinierten, wollte ich mehr über sie und ihr Umfeld erfahren: Wie haben sie gelebt? Wie war ihr Repertoire beschaffen? Was kann ich aus ihrer Handschrift lesen? Aus diesen Projekten erwuchs eigentlich auch die Intendanz bei den Salzburger Pfingstfestspielen. Hier konnte ich noch größere Zusammenhänge zeigen, über mein eigenes Repertoire hinausgehen, andere Epochen und Sparten abbilden.
Werden Sie diese erfolgreiche Konzeptarbeit auch in Monte-Carlo anwenden? Was kann das Publikum von der Opern-Intendantin Cecilia Bartoli erwarten?
Momentan arbeite ich noch an meiner ersten Spielzeit, die Mitte September 2023 vorgestellt wird. In einem Opernhaus, welches über eine ganze Saison plant, strukturiert man klarerweise anders als bei einem konzentrierten Festival. Natürlich denke ich auch hier in thematischen Linien, die sich aber im Gegensatz zu Salzburg langsamer und über einen viel längeren Zeitraum entwickeln werden.
Bereiten Sie mit den Leitungspositionen heimlich Ihren Rückzug von der Bühne vor? Muss das Publikum etwa befürchten, Sie bald nicht mehr als Sängerin erleben zu können?
Ich wurde doch als Bühnentier geboren! Daher möchte ich weiterhin singen, in Produktionen in Salzburg und Monte-Carlo, gelegentlich auch mit meinem Orchester Les Musiciens du Prince-Monaco auf Tournee in geliebten Städten wie Hamburg. Meine administrativen Positionen sehe ich dabei als Erweiterung meiner musikalischen Tätigkeit, als Möglichkeit, breiter und umfassender zu denken. Wenn ich selber auf der Bühne stehe, hat die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen – den Orchestermusiker:innen, Dirigent:innen, Regisseur:innen, den Kostüm- und Bühnenbildner:innen – so oder so absolute Priorität. Nur wenn wir uns aufeinander abstimmen, wenn wir als Team gemeinsam Höchstleistungen erbringen, ergibt sich das künstlerische Ereignis, welches das Publikum mitreißt und berührt. Anders hat unsere Arbeit keinen Sinn.

»Rossini ist einer meiner treuesten Freunde«
Die Werke von Gioachino Rossini begleiten Sie seit Ihrem Debüt 1987 eigentlich ständig. Werden Sie seiner Musik nie überdrüssig?
Rossini ist einer meiner treuesten Freunde und eine Art väterlicher Mentor! Seine Welt ist so vielfältig, von der burschikosen Farce über die elegante Komödie zur erschütternden Tragödie. Seine Rollen sind unglaublich breit angelegt: Rosina oder Cenerentola zum Beispiel sind jung und unerfahren und lassen sich von den Männern leiten. Desdemona vertraut zu viel, ist unterwürfig, leistet aber auch selbstbewusst Widerstand. Fiorilla in »Il turco in Italia« ist verheiratet und tanzt ihrem Gatten auf der Nase herum, während Isabella in »L’italiana in Algeri« sich mehrere Liebhaber hält und die halbe Stadt herumkommandiert. Mit einer gewissen Lebenserfahrung, und wenn man sich bereits stimmlich wie musikalisch einige Zeit entwickelt hat, gelingen einem solche Rollen besser.
Ist da nicht auch viel virtuose Zirkus-Artisterie?
Klar: Rossini macht musikalisch auch deshalb Spaß, weil seine Musik virtuos ist. Man muss immer versuchen, dieses zirzensische Element perfekt darzubieten, es zugleich aber auch mit immer wieder neuem Sinn, anderen Farben und unterschiedlichem Ausdruck zu erfüllen, damit die Musik eben nicht in reiner Mechanik erstarrt. Technisch gesehen ist Rossinis Musik – genau wie die seines Lieblingskomponisten Mozart – Balsam für die Stimme: Wenn man genau arbeitet, pflegt man sie mit dieser Art von Musik.
Mit Ihrem Einsatz für Rossini und ebenso mit Ihren Konzeptalben zu Vivaldi, Gluck oder der sogenannten Neapolitanischen Schule wurden Sie zum Türöffner nicht nur für diese Komponisten, sondern auch für viele junge Sängerinnen und Sänger, die Ihnen nacheiferten, vor allem Countertenöre. War Ihnen das bewusst?
Zu Beginn meiner Karriere hatte ich das Riesenglück, dass ich etwa mit einem Dirigenten wie Claudio Abbado arbeiten und einen neuen Zugang zu Rossini entdecken durfte. Oder dass ich von Harnoncourt in die Welt Haydns eingeführt wurde. Solche Persönlichkeiten haben eine bedeutende Erneuerung des Opernrepertoires ausgelöst, und ich war als junge Sängerin Teil davon. Später wurde ich aufgrund meiner eigenen Entdeckungsreisen selber zur »Avantgarde«, deren Projekte ganz neue Repertoirebereiche im Barock und in der Klassik zugänglich machten. Es freut mich tatsächlich außerordentlich und macht mich auch ein bisschen stolz, wenn ich sehe, dass heute sogar renommierte Opernhäuser, welche sich traditionell auf die großen Werke des 19. und frühen 20. Jahrhunderts fokussierten, Vivaldi-Opern, italienische Opern von Gluck oder wenig bekannte Opern von Rossini ganz regulär im Spielplan präsentieren. Damit einher geht tatsächlich das Heranwachsen einer hervorragend ausgebildeten Generation von jungen Sängerinnen und Sängern, die einen neuen Stimmtypus und eine andere Art des Singens verkörpern, welche es überhaupt erst möglich macht, diese Werke angemessen zu produzieren.
Cecilia Bartoli singt Rossini
Wie wichtig sind Aufnahmen heute noch für Sänger?
Die Plattenindustrie hat sich total verändert. Dabei sind Aufnahmen für die Verbreitung eines neuen Repertoires essenziell. Für uns Musiker sind sie als Schule so wichtig, weil man lernt, sich selber genau zuzuhören und sich bis zur Perfektion zu verbessern. Für junge Leute gibt es kaum mehr Chancen für ein ernsthaft produziertes Studioalbum. Daher habe ich ein Label gegründet, »Mentored by Bartoli«, wo ich tollen Kollegen und Kolleginnen wie Javier Camarena oder Varduhi Abrahamyan zu einem Debütalbum verhelfe. Wie viele andere verfolgen ja auch diese beiden eine weltweite, glänzende Bühnenkarriere, verfügen aber noch nicht über ein international sichtbares Solo-Album. Dabei bin ich dann gerne Geburtshelferin.
Das Programm Ihres aktuellen Konzeptalbums, das dem Phänomen Farinelli gewidmet ist, bringen Sie am 6.6.2023 auch auf die Bühne der Elbphilharmonie. Warum fasziniert uns dieser berühmteste aller Kastraten bis heute so sehr?
Farinelli war tatsächlich einer der größten Sänger seiner Zeit und vor allem ein herausragender Künstler. Seine Stimme können wir zwar nicht mehr hören, aber wir können aus den Noten sehr viel über sein Wesen erfahren: Wie lang sein Atem war, wie virtuos seine Koloraturen, wie riesig sein Stimmumfang, wie unterschiedlich seine Rollen, wie intensiv und differenziert sein künstlerischer Ausdruck. Neben der Musik, die für ihn geschrieben wurde, fasziniert mich der Mensch Carlo Broschi. Sein Leben verlief ja anders als das der meisten Kastraten, er lebte in Italien, England und Spanien, wo er allerhöchste Würden erlangte. Er muss sehr klug gewesen sein und gleichzeitig menschlich und bescheiden.

Auch mit Mozarts letzter Oper »La clemenza di Tito« gastieren Sie (im Dezember 2022) an der Elbphilharmonie. Welche Rolle spielt er in Ihrem Leben als Sängerin?
Auch Mozarts Musik gehört für mich zum Allergrößten überhaupt! Jedes Mal entdeckt man etwas Neues, jedes Mal wird man von ihr aufs Tiefste berührt. Text und Inhalt sind fantastisch und decken sich so genau mit der Musik – ein Gesamtkunstwerk also. Für die Stimme ist Mozarts Musik – ähnlich wie die von Rossini – gesund: Sie fordert Genauigkeit und Disziplin. Und sie erleichtert einem das Herz und versetzt in gute Laune – selbst wenn sie traurig ist. Mozart wirkt kathartisch wie kaum ein anderer. Zu Mozart kehrt man zwangsläufig immer wieder zurück, für die Kehle wie für die Seele.
Unter den späten Opern Mozarts wird »La clemenza« am wenigsten gespielt. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Ich denke, es liegt am Sujet, nicht an der Musik. Im Kontext der Da-Ponte-Trilogie (»Figaro«, »Don Giovanni«, »Così fan tutte«, Anm.) und der »Zauberflöte«, die alle ganz anderen, neuen theaterästhetischen und sozialpolitischen Regeln unterliegen, steht »La clemenza« in der Tradition der barocken Opera seria und erscheint wie ein Relikt aus alter Zeit. Dabei ist doch genau die Tatsache spannend, dass die Tonsprache der »Clemenza« dieselbe ist wie zum Beispiel in »Don Giovanni«. Und dass die Figuren genauso echt, aufrichtig, herzenswarm und menschlich sind wie etwa eine Fiordiligi. Nur formal und stilistisch – mit einem dem hohen Stil Metastasios verpflichteten Text – unterscheidet sich die »Clemenza« von Mozarts anderen Opern aus jener Zeit, während die Figuren an sich mit den stilisierten Charakteren aus der Barockzeit keine Gemeinsamkeiten mehr haben.
In Hamburg haben wir Sie (im Dezember 2022) in der Hosenrolle des Sesto …
… und der ist ein schönes Beispiel, wie Mozart einen Charakter mit tief empfundener Musik zu einem wahren, vielschichtigen Menschen mit Stärken und Schwächen macht. Seine Arien sind wunderbar, ich habe sie seit Jahrzehnten in meinem Repertoire. Das wahre Geschenk in einer Mozart-Oper sind aber die Ensembles, und daher ist es schön, dass wir in Hamburg die ganze Oper aufführen.
Das tun Sie gemeinsam mit Les Musiciens du Prince-Monaco, ein Ensemble, dessen Gründung Sie mitinitiiert haben. Warum gründen so viele Sänger der Alten Musik ihre »eigenen« Ensembles, so wie Philippe Jaroussky oder Nathalie Stutzmann?
Ermutigt zu diesem Schritt wurde ich 2016 von Prinz Albert II. und seiner Schwester Caroline, der Prinzessin von Hannover. Dabei handelt es sich bei den Musiciens du Prince-Monaco um ein regelrechtes »Hof«-Orchester, das auf historischen Instrumenten spielt. Mit dem Hoforchester setzen wir eine Tradition aus dem 18. und 19. Jahrhundert fort, die einst in ganz Europa verbreitet war. Aus repräsentativen Gründen hielten sich Fürsten und Könige hervorragende Orchester. Den Musikern selber dienten diese Ensembles als wichtiger Experimentierraum, in dem sie neue Projekte ausprobieren konnten, während höchste künstlerische Ansprüche erfüllt werden mussten. In dieser Tradition versammelt Les Musiciens du Prince-Monaco unter der Leitung von Gianluca Capuano die besten Musikerinnen und Musiker, mit denen ich im Lauf der Jahre zusammengearbeitet habe. Durch den so gewachsenen Teamgeist können wir Ansprüche realisieren, die mit einer »normalen« Gruppe unter »normalen« Umständen nicht möglich wären.
Das Gespräch fand im Frühjahr 2022 statt.
Interview: Bjørn Woll
- Elbphilharmonie Großer Saal
Mozart: La clemenza di Tito / Cecilia Bartoli
Les Musiciens du Prince-Monaco / Gianluca Capuano
Vergangenes Konzert - Elbphilharmonie Großer Saal
Cecilia Bartoli / Les Musiciens du Prince – Monaco / Gianluca Capuano
»Farinelli and His Time« – Internationales Musikfest Hamburg
Vergangenes Konzert