Cat Power

Cat Power im Portrait

Die US-amerikanische Musikerin hat Dämonen bekämpft und Vorbilder gefeiert – etwa mit ihrem denkwürdigen Bob-Dylan-Konzert.

Text: Jan Paersch, 22.07.2024


 

England in den sehr frühen Sechzigern. Die Stones eifern Bo Diddley nach, die Fab Four Ray Charles, und beide Bands vergöttern Chuck Berry. Die Erfolgsgeschichten der Beatles und der Rolling Stones hätte es, da sind sich die Experten einig, so nicht gegeben, hätten diese britischen Jungspunde sich nicht kräftig aus der randgefüllten Schatztruhe des schwarzen Rock’n’Roll made in USA bedient.

Die Tricks der Vorbilder studieren, die eigenen Fähigkeiten verbessern, indem man die Werke der Großen nachschrammelt, an ihnen herumprobiert – diese Praxis ist so alt wie die ersten Saiteninstrumente. Aber im letzten Jahrhundert nahm sie ganz neue Formen an, auch in den Vereinigten Staaten.


 

Mit Idolen zum eigenen Sound

Zum einen ist da ein junger Mann namens Robert Allen Zimmerman. In den Jahren, bevor er seinen Namen in Bob Dylan ändern wird, leiht er sich, so oft es geht, von Freunden LPs mit Folksongs und Traditionals aus; er spielt diese Musik in den dunklen Bars und muffigen Kaffeehäusern von New York City. Der Mann, dem viel später für seine eigene Kunst der Literatur-Nobelpreis verliehen werden sollte, wagt sich 1961 in keine Greenwich-Village-Spelunke, ohne dort jahrzehntealte Bluessongs zu verkrächzen. Bukka White, Blind Lemon Jefferson, Woody Guthrie sind seine Idole.

 

Bob Dylan
Bob Dylan © NBC Television / Youtube

 

Zum anderen – gewagter Sprung – lebt in den späten Neunzigern in derselben Stadt eine Frau namens Chan Marshall. Sie hat gerade »Moon Pix« veröffentlicht, ein bemerkenswertes Album, das sie auf dem Höhepunkt ihrer Kunst zeigt. Nun arbeitet sie, obwohl ihre eigenen Songs gut aufgenommen werden, an einer neuen Platte, die ausschließlich Coversongs enthält – dazu gleich mehr.

Seit ihrer Ankunft in New York City 1992 ist Marshall ständig unterwegs, raucht viel, trinkt viel. Mal sind ihre Haare militärisch kurz geschoren, dann trägt sie sie wieder lang, dazu kajalschwarze smoky eyes. Und diese leicht raspelige, tiefe Stimme! Ihre Songs klingen, als seien sie »im Mondlicht auf einer wackeligen Veranda im tiefen Süden während einer ›Dunklen Nacht der Seele‹ entstanden«, so beschreibt das ihre Biografin, den spanischen Mystiker Johannes vom Kreuz zitierend. Auch Chan Marshall nimmt einen Künstlernamen an. Bei einem Konzert sieht sie einen Mann mit einer Kappe des Maschinenbauunternehmens Caterpillar: »Cat Diesel Power«. Von nun an nennt sie sich Cat Power.

Cat Powers Akustikset für Tiny Desk

Die Anfänge von Cat Power

Charlyn Marshall wurde 1972 in Atlanta geboren und verbrachte ihre Kindheit in verschiedenen Südstaaten. Manchmal liest man, das Mädchen sei bei der Großmutter aufgewachsen, weil ihre »Hippie-Eltern« mit dem Baby überfordert gewesen seien – die Wahrheit dürfte komplizierter sein. Die Bezugspersonen in ihrer Kindheit haben offenbar häufig gewechselt. Prägende Figuren sind neben der Oma auch ihr Stiefvater mit seiner großen Plattensammlung. Die Mutter liebt David Bowies Kunstfigur Ziggy Stardust so sehr, dass sie sich »Ziggy« nennt und die Haare rot färbt; der Vater singt in einer Band. Er besitzt auch einen Stutzflügel, den Chan nicht berühren darf – sie tut es dennoch, heimlich.

David Bowie als Ziggy Stardust
David Bowie als Ziggy Stardust © UCLA

Mit 16 kauft sie sich eine Silvertone E-Gitarre. Das Instrument steht jahrelang ungenutzt in der Zimmerecke. »Ständig versprachen irgendwelche Typen, dass sie es mir beibringen würden, und nach ein paar Jahren sollte ich dann halbwegs passabel spielen können«, erinnerte sich Marshall in einem Interview. »Eines Nachmittags nahm ich das Ding dann selbst in die Hand und dachte mir: ›Das ist echt nicht so schwer.‹«

Sie zieht von zu Hause aus, treibt sich in der Punkund Experimentalszene von Atlanta herum. Ein Umfeld mit schlechtem Einfluss, nüchtern ist sie selten. »Alkohol war ein Teil meiner Erziehung«, gibt sie später in typischer Freimütigkeit zu Protokoll. »Als ich 1992 nach New York City kam, hatte ich das Gefühl, etwas überlebt zu haben.«

None
None © Wikimedia Commons

Drei Jahre später nimmt Cat Power in Chinatown ihre ersten drei Alben quasi in einem Rutsch auf, die Kritik lobt ihr raues Lo-Fi-Songwriting. Dann kommt das vierte Album. »Moon Pix« entsteht zum Teil nach den Erfahrungen einer psychotischen Episode; die Künstlerin ist psychisch so angeschlagen, dass sie nach Australien flieht und dort in ein Tonstudio geht. »Mir war gar nicht klar, dass andere Künstler keine Songs schreiben, die derart persönlich sind. Das wusste ich einfach nicht«, kommentierte sie später. »Das Album hat mich als sehr verwirrten jungen Menschen geheilt.«

»Moon Pix« zeigt eine Verwundbarkeit und Rohheit, wie sie im Pop-Business selten sind. Zumal von Frauen wird in den Neunzigern Anderes erwartet; Ähnliches kennt man nur von PJ Harvey. Kritikern gilt die Platte bis heute als Cat Powers Opus magnum. Die Lobeshymnen bekommen der Künstlerin keineswegs gut. »Von den ersten Konzerten an war ich nie wirklich präsent, ich hatte immer irgendetwas im Blut. Ich fühlte mich in meinem Körper nicht wohl, hatte Depressionen.«

Cover im Gepäck

Am Ende des Jahrzehnts traut sie sich nur noch auf die Bühne, wenn sie Scotch und angsthemmende Tabletten intus hat. Cat Power spielt Solo-Konzerte und lässt dazu einen Stummfilm laufen, um von sich abzulenken. Ihr Repertoire besteht ausschließlich aus Coverversionen: von den Stones, von Velvet Underground, von Bob Dylan.

Die Songwriting-Künste ihrer Vorbilder sind im doppelten Sinne Cat Powers Rettung: Sie bauen ihr kaputtes Selbstwertgefühl auf, und sie helfen ihr, den nächsten Karriereschritt zu setzen: »The Covers Record« erscheint im Jahr 2000. Es ist bis heute ihr erfolgreichstes Album, zumindest im Streaming, und ihr erstes von mehreren Alben ausschließlich mit Fremdrepertoire. Bob Dylan ist immer präsent, selbst in ihren eigenen Songs: »Song to Bobby« ist eine unverhohlene Liebeserklärung an den großen Singer/Songwriter: »I wanna tell you / I’ve always wanted to tell you / But I never had the chance to say / What I feel in my heart from the beginning til my dying day.«

Cat Power singt »Song to Bobby«

»Ich hatte nie einen Lieblingskünstler, abgesehen von Bob«, erklärte sie einmal in einem Interview. Nie zuvor habe sie einen Mann gehört, der so beschützend über Frauen singt. Mit 23 ist Cat Power auf Tour in England, raucht in London vor der Royal Albert Hall eine Zigarette und stellt sich vor, dass Dylan auftaucht und sie mit hinein nimmt. Fast 30 Jahre später bekommt die Künstlerin einen Anruf: Innerhalb kürzester Zeit muss sie sich entscheiden, ob sie selbst in dem ehrwürdigen Konzertsaal spielen will. »Fuck, yeah! Aber nur Dylan!«, sei ihr erster Impuls gewesen. »Lasst uns etwas Schönes, Elegantes machen. Keine Improvisation, keine verdammte Dekonstruktion. Lasst es uns echt und einfach machen.«

Songs to Bobby

Cat Power und ihre sechsköpfige Band planen etwas Ungewöhnliches: die Wiederaufführung eines kompletten Konzerts, Song für Song. Es geht um Bob Dylans »Royal Albert Hall Concert – May 27, 1966«, das seinen Namen aufgrund eines falsch beschrifteten Bootlegs bekam (der zunächst schwarz herausgebrachte Livemitschnitt stammt tatsächlich von dem Auftritt in Manchester zehn Tage zuvor und wurde bereits 1998 auch offiziell veröffentlicht, allerdings unter dem gewohnten »falschen« Namen). Es ist ein legendäres Konzert, weil Dylan hier erstmals an der E-Gitarre zu hören war und dafür von Teilen des Publikums ausgebuht wurde.

Bob Dylan, Konzert in der Royal Albert Hall, 1966
Bob Dylan, Konzert in der Royal Albert Hall, 1966 © BBC / Mark Makin

Im November 2022 ist es soweit, Cat Power spielt in der Royal Albert Hall das denkwürdige Konzert nach, alle 15 Songs von damals, in derselben Reihenfolge wie einst: im ersten Set akustisch, im zweiten dann elektrisch. Sogar der berühmte »Judas«-Zwischenruf, der Dylan ereilte, weil er mit den puristischen Traditionen der Folk Music gebrochen hatte, ist aus dem Publikum zu hören.

Ende 2023 erscheint die Cat-Power-Version auch als Album: »Cat Power Sings Dylan«. Zum Glück übertreibt sie es darauf nicht mit der Werktreue. Dylans »She Belongs to Me« singt sie – eine echte Selbstermächtigungsgeste – nicht in der dritten Person, sondern aus der Ich-Perspektive: »I’ve got everything I need / I’m an artist / don’t look back.« Und das Mundharmonika-Spiel des damals 24-jährigen Dylan wirkt geradezu dürftig im Vergleich mit Cat Powers tiefempfundenem, bluesigem Howl. Dazu faucht die Hammond-Orgel, jault die Gitarre auf.

Cat Power
Cat Power Cat Power © Mario Sorrenti

Und dann ist da ihre Stimme. Charakteristisch tief und rau, fast brüchig, jeder Ton sitzt, ganz anders als beim Original. Dennoch lässt Cat Power keine Kritik an der Gesangsperformance von His Bobness gelten: »Ich liebe den Kerl einfach. Wenn ich seine Songs höre, fällt mir nie auf, dass seine Stimme irgendwie schlecht klingt. Mir fällt auf, dass seine Texte Spaß machen.«

Seit 2023 ist Cat Power weitgehend nüchtern. Fast das ganze Jahr 2024 wird sie auf Tour verbringen und dabei nichts als Dylan spielen. Dabei braucht sie längst keine Vorbilder mehr, um ihr Ego aufzubessern. »Mir war es wichtig, dass ich mich selbst nicht in den Vordergrund stelle. Ich will mich in erster Linie Bob nahe fühlen.«

 

 

Dieser Artikel erscheint im Elbphilharmonie Magazin (Ausgabe 3/24).

  • Elbphilharmonie Großer Saal
    Cat Power

    Cat Power sings Dylan

    »The 1966 Royal Albert Hall Concert« – Internationales Sommerfestival Kampnagel / Elbphilharmonie Sommer

    Vergangenes Konzert

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