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»Zukunft kann man immer auch als Erneuerung begreifen«

Über das Musikfest-Motto »Zukunft«: ein Gespräch mit Barbara Lebitsch (Künstlerische Betriebsdirektorin der Elbphilharmonie)

Interview: Michael Sangkuhl, April 2025


»Zukunft« – so lautet das Motto des Internationalen Musikfestes Hamburg 2025. Die Hamburger Orchester, zahlreiche Top-Stars und ein groß angelegtes Community-Projekt widmen sich dem Thema in vielseitigen Konzerten von Klassik bis Jazz. »Wir wollten gerade in diesen Zeiten daran erinnern, dass es im Zeitkontinuum auch eine Zukunft gibt«, erklärt Barbara Lebitsch, Künstlerische Betriebsdirektorin der Elbphilharmonie. Im Interview spricht sie über die Bedeutung des Mottos, über einzelne Programmschwerpunkte, und warum es wichtig ist, gerade heute auch nach vorne zu schauen. 

Barbara Lebitsch
Barbara Lebitsch © Claudia Höhne

Internationales Musikfest Hamburg 2025

Programmatische Höhepunkte zum Saisonfinale: Die großen Hamburger Orchester und hochkarätige Gäste widmen sich mehr als fünf Wochen dem Motto »Zukunft«

Interview

Das Motto des diesjährigen Musikfests heißt »Zukunft«. Wie kommt so ein Schwerpunkt zustande: Steht zuerst das Motto fest oder gibt es vielleicht konkrete Werke, von denen es herrührt?

Beides ist möglich. Im Vorfeld machen wir uns Gedanken darüber, was uns gesellschaftlich derzeit am meisten beschädigt. So hat das Musikfest immer Themen, die im weitesten Sinne gesellschaftsrelevant sind, nicht rein musikalisch gedacht.
 

Und welcher Gedanke steht hinter dem Motto »Zukunft«?

Gerade in diesen beschwerenden Zeiten war die Idee, nicht in ein rückwärtsgewandtes »Früher war alles besser« zu verfallen, sondern daran zu erinnern, dass es im Zeitkontinuum auch eine Zukunft gibt. Damit haben sich auch Komponist:innen und Künstler:innen immer beschäftigt. Wir wollen also nicht nur ganz konkret fragen, was heutigen Menschen die Zukunft bringt, sondern auch, was es bedeutet, wenn man sich künstlerisch mit ihr auseinandersetzt.

Zukunft kann man immer auch als Erneuerung begreifen. Dahin gehend haben wir uns gefragt, welche Komponist:innen oder Werke eine Zeitenwende in der Musikgeschichte und in der künstlerischen Aussage eingeläutet haben. Christoph Willibald Gluck etwa hat zu seiner Zeit die Gattung Oper neu gedacht. Wir spielen im Mai seine »Iphigénie en Tauride«. Ganz anders dagegen »Become Ocean« von John Luther Adams: Dieses Werk ist näher dran an einer zeitkritischen Auseinandersetzung mit der Frage, was die Zukunft für uns bedeutet, wenn wir uns weiterhin so verhalten, wie wir es gegenwärtig global gesehen tun.


In diesem Kontext gibt es auch im diesjährigen Musikfest wieder einen Komponistenschwerpunkt: Pierre Boulez.

Richtig. Wir hatten bislang etwa mit Sofia Gubaidulina, Alfred Schnittke und György Ligeti immer einen Hamburg-Bezug; das ist in diesem Jahr mit Pierre Boulez etwas anders. Er hat mit seinen Neuerungen, seinem musikalischen Denken und seiner Ästhetik einen besonders starken Bezug zu unserem Thema. Zudem begehen wir 2025 Pierre Boulez’ 100. Geburtstag.


Es gibt in diesem Jahr noch einen zweiten Schwerpunkt im Rahmen des Mottos »Zukunft«, nämlich die Verbindung von Künstlicher Intelligenz und Musik.

Dem Thema »Künstliche Intelligenz« widmen wir sogar ein eigenes Schwerpunktwochenende. Wir alle, Kunst- und Kulturschaffende, können die Augen vor diesem Thema nicht verschließen. KI wird in der Musikproduktion längst angewandt: Wie verschieden sind die Herangehensweisen? Wie gehen die unterschiedlichen Künstlergenerationen damit um? Wir haben Diskussionsrunden aufs Programm gesetzt, um Denkanstöße zu geben, aber auch, um Künstler:innen direkt zu befragen: Was bedeutet KI für deine kreative Arbeit? Setzt du KI ein, oder hast du Angst davor? Glaubst du, dass du sie beherrschen kannst, oder dass sie dich eines Tages ersetzen wird?


Künstliche Intelligenz ruft, wie Sie sagen, heute vor allem zwei Reaktionen hervor: Interesse, aber auch Bedenken. Und diese beiden Pole sind auch in der Musikgeschichte immer dann zu beobachten, wenn jemand etwas Neues gemacht hat – etwa Boulez.

Absolut. Boulez war nicht nur ein Pionier serieller Techniken und der Aleatorik, sondern auch der Computermusik – der Klangerzeugung ohne Instrumente. Heute denken wir bei Computermusik nicht zuletzt an Künstliche Intelligenz.

Pierre Boulez
Pierre Boulez © Marcello Mencarini

Ich finde es in diesem Kontext spannend, dass Boulez 1981 in »Répons«, dem Eröffnungsstück des Musikfests 2025, Technologie eingesetzt hat, die aus heutiger Sicht schon wieder veraltet erscheint.

Und besonders spannend ist dabei die Frage: Wie gehen Institutionen wie das IRCAM oder das SWR Experimentalstudio damit um? Schaffen sie es, die Idee oder das Resultat in eine aktuelle Technologie zu übersetzen oder halten sie an der ursprünglich erdachten Form fest – und damit an einer alten Technologie, die aber damals neu war. Auch daran erkennen wir das Fortschreiten der Zeit.
 

Um noch einmal auf den Begriff »Zukunft« zurückzukommen: Wo sehen Sie die Zukunft der klassischen Musik?

Ich glaube, die Zukunft der klassischen Musik wird nicht so viel anders sein als heute. Ich denke, dass in Zeiten der Vereinzelung und des Individualismus und in Zeiten, in denen man jederzeit alles zur Verfügung hat, gerade so etwas wie ein gemeinschaftliches Konzerterlebnis an Relevanz gewinnen wird: In einem Raum zur selben Zeit Musik zu hören, die von echten Menschen im Moment gemacht wird – und damit unwiederbringlich und unverwechselbar ist.

 

Dieses Interview erschien im Programmheft des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg zum Eröffnungskonzert des Internationalen Musikfestes 2025.

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